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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Ihre Rippen traten wie Zaunlatten hervor.

    »Geben Sie gut Obacht, Edwin. Es ist ein hässliches, aber überaus lehrreiches Schauspiel.«
    Der Vampir nahm feierlich ein Messer aus dem Koffer und hielt es in die Höhe. Es schien nichts Ungewöhnliches daran zu sein. Isolde bohrte die Spitze in die Vertiefung unterhalb des Adamsapfels, ritzte die Haut, ohne dass Blut floss, und schnitt ihr Trikot entzwei. Der Stoff löste sich von ihrer Haut. Ihre Brüste waren nicht weiter bemerkenswert, doch ihre Warzen waren groß und dunkel.
    Winthrop hatte zwar nur wenig Erfahrung mit dem frivolen Treiben von Paris, aber die farblose Isolde schien ihm zu unterentwickelt, um wahrhaftig Anerkennung finden zu können. Die beliebten Mädchen der Folies-Bergère waren wesentlich üppiger ausgestattet als diese armselige Kreatur, fette Tauben im Vergleich zu diesem mageren Spatz.
    Sie zuckte die Achseln, und die obere Hälfte ihres Hemdes glitt ihr über die Schultern auf die Hüfte. Ihre Haut war makellos bis auf die grünliche Färbung. Isolde setzte sich das Messer noch einmal an die Kehle und führte einen zweiten Schnitt vom Brustbein bis hinab zum Bauch. Es floss nur wenig Blut.
    »Sie ist keine Neugeborene«, sagte Beauregard. »Isolde ist bereits seit über tausend Jahren ein Vampir.«
    Winthrop sah etwas genauer hin, vermochte jedoch keinerlei Anhaltspunkt für die sagenhafte Kraft und Macht der Ältesten zu erkennen. Mit ihren starren Fangzähnen wirkte Isolde hilflos und verloren, beinahe lächerlich.
    »Sie ist schon einmal guillotiniert worden.«
    Isolde klemmte sich die Klinge zwischen die Lippen und nahm beide Hände zu Hilfe. Sie schob die Fingernägel unter die Ränder ihrer selbst beigebrachten Wunde und schälte die Haut von ihrer rechten Brust. Bei jeder Bewegung spannten und entspannten sich ihre freiliegenden Muskeln. Sie glitt mit der ganzen Hand
unter die Haut, lockerte die Umhüllung ihrer Schulter und streifte sie ab wie ein Hemd.
    Das Publikum war hingerissen. Winthrop war angewidert, von den Zuschauern wie von der Künstlerin.
    »Wir begreifen unsere Grenzen nicht«, meinte Beauregard. »Wenn wir zum Vampir werden, sind wir der Möglichkeit nach imstande, die natürliche Gestalt des menschlichen Körpers zu verändern.«
    Als Isolde sich umwandte, riss die Haut an ihrem Rücken. Rotrandige Lappen hingen schlaff herunter. Allein mit den Fingernägeln und ein paar Schnitten ihres Messers zog sie sich systematisch die Haut ab.
    Eine Gruppe von Amerikanern, die irrtümlich angenommen hatten, Isolde werde sich auf andere Art entblättern, stürmte unter lautem Protestgeschrei hinaus. »Ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank«, brüllte einer.
    Isolde blickte ihnen nach und zog die Haut wie einen schulterlangen gant glacé von ihrem rechten Arm.
    »Manche Vampire, Edwin, sind ebenso wenig imstande, ihre Gestalt zu wandeln wie Sie oder ich. Insbesondere die vom Geblüt Ruthvens und Chandagnacs. Andere wieder, unter ihnen die vom Geschlecht der Dracula, besitzen Fähigkeiten, die noch nicht einmal annähernd erforscht sind.«
    Isolde verstümmelte sich mit steinerner Miene und wilden Gebärden. Ihre Haut hing in schlotterigen Fetzen. Winthrop wollte sich der Magen umdrehen, doch es gelang ihm, seine Übelkeit im Zaum zu halten. Das ganze Theater stank nach Blut. Ein wahrer Segen, dass nur wenige Vampire sich im Raum befanden; sie hätten vermutlich den Verstand verloren. Die Künstlerin riss ihre weiße Haut in Streifen und warf sie in die Menge.
    »Sie hat treue Anhänger«, sagte Beauregard. »Des Esseintes, der Dichter, hat ihr einige Sonette gewidmet.«

    »Es ist ein Jammer, dass de Sade sich nicht verwandelt hat. Er hätte an diesem Schauspiel seine helle Freude gehabt.«
    »Vielleicht hat er sie zu seiner Zeit gesehen. Sie tritt seit einer Ewigkeit mit dieser Nummer auf.«
    Ihr schimmernder Torso glich einem anatomischen Präparat, fahle Knochen in feuchtem Fleisch. Sie hob ihren gehäuteten rechten Arm und leckte ihn vom Ellbogen bis zum Handgelenk, tauchte ihre Zunge in das rote Nass. Ihre Arterien waren deutlich zu erkennen, durchsichtige Röhren, in denen das Blut pochte und pulsierte.
    Zahlreiche Zuschauer waren aufgesprungen und drängten sich am Bühnenrand. In den Folies hätten sie alle fünfe gerade sein lassen und lauthals geschrien und gejohlt. Hier waren sie still und leise, starrten mit angehaltenem Atem auf die Bühne und versperrten ihren Kameraden die Sicht.
    Wie viele dieser Männer

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