Die Vampire
er. Hinter seiner Brille tanzten wässrige, nervöse Augen.
»Das ist Mr. Herbert West aus Massachusetts«, stellte Moreau seinen Kollegen vor. »Er hat mir den einen oder anderen kleinen Dienst erwiesen. Mit ein wenig Glück wird noch ein richtiger Wissenschaftler aus ihm.«
»Über welches Thema hat der Professor damals referiert?«
»Die Kreuzung verschiedener Blutlinien. Wie die Viehzucht zum Ertrag von schierem, magerem Fleisch. Er behauptete, er könne selbst jene Vampire zum Gestaltwandel bewegen, die dazu von Natur aus nicht imstande sind. Außerdem deutetete er an, seine Methoden seien geeignet, viele Krankheiten und Schwächen der Untoten zu ›heilen‹.«
»Krankheiten und Schwächen?«
»Die extreme Empfindlichkeit gegen das Sonnenlicht. Die Angst vor religiösen Artefakten. Allergische Reaktionen gegen Knoblauch und andere Liliengewächse. Selbst die generelle Verwundbarkeit durch Silber.«
»Pah«, stieß Moreau verächtlich hervor. »Blut, Blut, Blut. Für
die Deutschen ist das Blut der Ursprung aller Dinge. Als ob der corpus einzig und allein aus Blut bestünde.«
»Ist es dem Professor denn gelungen, ein solches verbessertes Exemplar zu züchten?«, fragte Beauregard. »Zum Beispiel einen Vampir, der einen Silberpfeil im Herzen überleben könnte?«
West starrte achselzuckend auf das leblose Häuflein auf der Pritsche. »Es war alles reine Theorie.«
»Es ›Theorie‹ zu nennen, hieße einen Wirrkopf zum Genie zu adeln«, fuhr Moreau wütend dazwischen. »Niemand außer mir hat auf diesem Gebiet je wirklich etwas geleistet. Ten Brincken ist ein Schwätzer und Einfaltspinsel.«
»Langstrom von der Gotham University soll mit ten Brinckens Methoden glänzende Resultate erzielt haben«, gab West zu bedenken, »aber seine Experimente nahmen ein schlimmes Ende. Er ist immer noch auf freiem Fuß.«
»Jetzt weiß ich wieder, wer Sie sind«, wandte Moreau sich an Beauregard. »Hatten Sie nicht diese Älteste bei sich?«
»Danke für die Auskunft«, sagte Beauregard. »Sie haben mir sehr geholfen.«
Einen Moment lang befürchtete er, Moreau könne sich nach Geneviève erkundigen. Vor dreißig Jahren hatte er wissenschaftliches Interesse an ihr genommen. Und seine wissenschaftlichen Interessen schienen sich darin zu erschöpfen, mit dem Skalpell auf seine Patienten loszugehen, um das Räderwerk des Lebens zu studieren.
»Sollten sie Ihnen in die Hände fallen, würde ich gern einen Blick auf seine Versuchsnotizen werfen«, sagte Moreau mit übertriebener Lässigkeit, die Beauregard verriet, wie ernst er die Arbeit seines Widersachers wirklich nahm. »Schwachsinniges Geschwätz, da bin ich sicher, aber ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. In Deutschland gibt es nicht so viele Gesetze, die uns an unserer Forschungsarbeit hindern.«
Beauregard wandte sich zum Gehen. Der Wachposten lauerte hinter der offenen Tür, sein verzerrter Schatten fiel über die Bodendielen.
»Ouran tut niemandem etwas zuleide«, sagte Moreau. »Er ist seit vielen Jahren bei mir. Ein braver, treuer Diener.«
Beauregard fragte sich, ob es sich bei den roten Malen an Ourans Hals um Operationsnarben handeln mochte.
Vor dem Krieg hatte Dr. Moreau aus England fliehen und seine Arbeit anderswo fortsetzen müssen. Doch hier, in unmittelbarer Nähe des Schlachtfelds, hatten die »Gesetze« ihre Gültigkeit verloren. In Kriegszeiten war für Menschlichkeit kein Platz.
Auf halbem Weg nach oben setzten die Schreie wieder ein; offenbar widmeten Dr. Moreau und Mr. West sich bereits dem nächsten verwundeten Vampir. Nach diesen wenigen Minuten in der Klinik hätte Beauregard sich am liebsten alle Kleider vom Leib gerissen, um sie gründlich reinigen oder, besser noch, verbrennen zu lassen.
Lieutenant Templar wartete am Tunneleingang. Er hielt eine Zigarette in der Hand und sah einem frischen Rauchring nach, der langsam in die Luft stieg, bis er schließlich zerstob. Der Abend kroch näher. Gegen den fauligen Gestank in Moreaus Sektionssaal wirkte der üble Geruch des Grabens wie eine frische Brise. Das Stakkato der MGs übertönte das dumpfe Donnern des Mörserfeuers.
»Gleich geht es los«, bemerkte Templar. »Was halten Sie von unserem Doc?«
Beauregard gab keine Antwort, doch der Lieutenant war im Bilde.
»Ich sage Ihnen, ich gebe nicht viel auf Gerüchte, aber wenn einer meiner Jungs sich eine Kugel einfängt, werde ich ihn lieber
durch den Drahtverhau schleppen und in einem klapprigen Lastwagen nach Amiens
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