Die Vampire
blutigen Matratzen festgeschnallt. Manche starrten stumm durch den Augenspalt ihrer Gesichtsverbände, andere wanden sich schreiend im Schmerzenswahn. Eine Kiste quoll über von zerschnittenen Uniformen und zersägten Stiefeln. Elektrische Lampen pulsierten im Takt mit einem launenhaften Generator, der in einem Nebenraum vor sich hin brummte. An den Wänden glänzte frisches Blut. Alles war damit besudelt. Selbst an den Glühbirnen klebten zu braunen Malen geronnene Flecken.
Er erkannte Dr. Moreau sofort: ein alter Mann von kräftiger Statur in einem blutgetränkten Kittel, der Kopf umrahmt von einer weißen Löwenmähne. Der Arzt beugte sich über die sterblichen Überreste eines Soldaten und spreizte die freiliegenden Rippen mit einem stählernen Instrument. Der Patient war ein Skelett, umhüllt von feuchten Fleisch- und Muskelfetzen. In der roten Gesichtsruine schimmerten gebrochene Augen. Die entblößten Fangzähne krachten splitternd aufeinander und fügten sich zu einer grinsenden Teufelsfratze. Neben Moreau stand ein kleinerer Mann, der die Schultern des Patienten auf die Pritsche presste. Als die Knochen brachen, stieß Moreau einen Triumphschrei aus. Ein Schuss purpurroten Blutes spritzte dem Assistenten ins Gesicht und befleckte seine dicke Brille.
»Sehen Sie, West«, sagte Moreau. »Das Herz schlägt noch.«
West, der Assistent, suchte nach einem sauberen Stückchen Ärmel, um seine Augengläser abzuwischen.
»Ich habe wieder einmal Recht behalten, und Sie schulden mir eine halbe Krone.«
»Freilich, Doktor«, sagte West. Er sprach mit leichtem amerikanischem oder kanadischem Akzent. »Ich werde es auf die Rechnung setzen.«
»Sie sind mein Zeuge«, wandte sich Moreau an Beauregard, das erste Mal, dass er sein Eindringen zur Kenntnis nahm. »Mr. West hat gewettet, dass das Herz unter diesen Umständen unmöglich weiterschlagen könne, und doch verrichtet das tapfere Organ noch immer eifrig seinen Dienst.«
Moreau hob den Arm, damit Beauregard einen Blick auf das Herz werfen konnte. Obgleich die meisten Gefäße durchtrennt waren, pumpte es wie eine geballte Faust.
»Dieser Mann könnte leben«, verkündete Moreau.
»Ausgeschlossen«, entgegnete West.
»Ihre Schulden steigen ins Unermessliche, mein Freund. Schauen Sie nur, als wie zählebig sich diese kleinen Schlangen erweisen …«
Die durchtrennten Gefäße wanden und krümmten sich. Eine Arterie tastete sich vorwärts wie ein blinder Wurm, wuchs wieder an, Blut floss hindurch, und der Schnitt heilte im Nu. Wucherndes Gewebe drängte sich rings um das Herz, umschloss, umhüllte es. Die aufgestemmten Rippen klappten zu wie eine Falle und fügten sich in ihre frühere Ordnung. Eine Flut von Muskelfleisch begrub die Knochen unter sich.
»Die Zähigkeit des Vampir- corpus ist aller Voraussicht nach unendlich«, sagte Moreau. »Allein die menschliche Verzweiflung ermöglicht den Tod, und ein Mann, der nur noch über ein halbes Hirn verfügt, kennt keine Verzweiflung mehr. Der Instinkt ergreift von dem Tier Besitz.«
Der Hinterkopf des Patienten war nur mehr eine formlose Masse. Schwärendes Fleisch ballte sich rings um die Augen. Jede
Faser des Soldaten hielt hartnäckig am Leben fest. Beauregard musste an Isoldes traurige Vorstellung denken. In dreißig Jahren Forschungsarbeit war es Moreau und seinesgleichen nicht gelungen, die Vampire ihrer regenerativen Fähigkeiten zu berauben.
»Aber ohne das Gehirn«, sagte West und legte den Finger in die feuchte Wunde, »hat dieses Wesen weder Willen noch Zusammenhalt …«
Muskelstränge zerrten gierig an Wests Fingerspitze. Sofort zog er die Hand zurück und beobachtete mit ausdrucksloser Miene, wie sich ein wangengroßer Fetzen Fleisch über ein erschrockenes Auge legte.
»Dies ist kein lebendiger Mensch«, meinte West, »sondern nichts weiter als eine Ansammlung disparater, autonomer Gliedmaßen und Organe. Die Schablone der menschlichen Gestalt befindet sich im Gehirn. Ohne diese Schablone gleitet eine vernunftlose Kreatur wie diese orientierungslos dahin und nimmt dabei beliebige groteske Formen an.«
Über dem Mund des Patienten bildete sich Haut, die an den Zähnen in Fetzen ging und wieder heilte.
Moreaus breites Gesicht wurde rot vor Zorn. »Diesem Mann fehlt schlicht der rechte Wille, das ist seine Schuld. Er hat den Glauben an die menschliche Gestalt verloren.«
Enttäuscht und wütend wandte Moreau sich von der Pritsche ab. Der Kiefer des Patienten klappte herunter, seine Fangzähne
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