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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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stachen wie Dolchspitzen hervor und rissen die neue Haut in Stücke. Dem blutigen Loch entwich ein leises Krächzen.
    »Die Stimme ist komplett dahin«, sagte Moreau. »Dies ist nichts weiter als ein Tier. Jeder Rettungsversuch wäre zwecklos.«
    Er holte ein Skalpell aus seiner Kitteltasche. Die Klinge schimmerte silbern.
    »Treten Sie zurück, West. Das kann blutig werden.«

    Moreau kniete sich auf den Bauch des Patienten, ließ das Skalpell niedersausen und durchschnitt mit Warzen übersäte, aufgeschwollene Haut. Er vergrößerte den Schnitt, stieß das Messer zwischen die frisch verwachsenen Rippen und bohrte es ins Herz. Ein letztes Zucken ging durch den Körper des Patienten, dann war er tot. Moreaus Faust war zur Gänze in der Brusthöhle verschwunden. Er befreite seine blutverschmierte Hand und wischte sie am Bettzeug des Patienten ab.
    »Es war eine Gnade«, lautete sein nichtssagender Kommentar. »Nun, Sir, mit wem habe ich das Vergnügen, und was führt Sie in mein Reich?«
    Mit Mühe gelang es Beauregard, den Blick von dem zerfetzten Leichnam abzuwenden. Er verweste schnell, zerfloss zu einer zähflüssigen Masse und tropfte von der Pritsche. Die Ältesten wurden zu Staub. Der Patient war nicht einmal ein Menschenleben lang Vampir gewesen.
    »Dr. Moreau, Sie werden sich vermutlich nicht an mich erinnern. Mein Name ist Charles Beauregard. Wir sind uns schon einmal begegnet, vor vielen Jahren, im Laboratorium von Dr. Henry Jekyll.«
    Moreau wurde nur ungern an seinen verstorbenen Kollegen erinnert. In seinen tiefliegenden Augen kochte die Wut.
    »Ich habe Verbindungen zum Geheimdienst«, sagte Beauregard.
    »›Verbindungen‹? Mehr nicht?«
    »Ganz recht.«
    »Gratuliere.«
    West durchforstete die Überreste des Patienten, förderte Kugeln und Granatsplitter zutage. Er trug schwarze Gummihandschuhe.
    »Ich bin noch nicht so weit, meine Erkenntnisse der Öffentlichkeit präsentieren zu können«, sagte Moreau und wies auf seine
kleine Schar gefesselter Patienten. »Ich hatte nicht genügend Vampire zur Verfügung.«
    »Sie missverstehen mich, Herr Doktor. Ich bin nicht wegen Ihrer derzeitigen Arbeit hier …« (worum auch immer es sich dabei handeln mochte), »… sondern um Informationen zu übermitteln, die eventuell von Nutzen sind. Sie betreffen einen anderen Forscher auf Ihrem Gebiet, Professor ten Brincken.«
    Als er den Namen hörte, hob Moreau wachsam den Blick.
    »Ein Scharlatan«, stieß er verächtlich hervor. »Praktisch ein Alchemist.«
    Beauregards Quellen zufolge waren Moreau und ten Brincken auf einem Kongress an der Universität von Ingolstadt im Jahre 1906 handgemein geworden. Das ließ vermuten, dass der Professor ein Mann von nicht geringer Größe war.
    »Wir glauben, dass ten Brincken ein Geheimprojekt leitet, dem der Feind höchste Priorität einräumt.«
    »Die Deutschen lieben den Mystizismus. Romantische Schauerfantasien haben ihren Verstand verwirrt. Ich bestreite nicht, dass ten Brincken ein kühner Denker ist. Aber keines seiner Ergebnisse lässt sich beweisen. Er schwelgt in germanischen Blutritualen. Keine Kontrollgruppe, keine Hygiene, keine ordentlichen Aufzeichnungen.«
    Dieser Klinik nach zu urteilen, hegte Moreau eine höchst sonderbare Vorstellung von »Hygiene«.
    »Nein«, sagte Moreau mit Nachdruck. »Woran ten Brincken auch arbeiten mag, es wird sich als wertlos erweisen.«
    Der Assistent lief unruhig hin und her, fand jedoch nicht den Mut, den großen Forscher zu unterbrechen.
    »Worüber hat er geforscht?«, fragte Beauregard.
    »Vor dem Krieg? Versponnene Studien der Lykanthropie. Ausgemachter Unsinn. Das alte Ammenmärchen, dass Werwölfe umkehrbare Haut besitzen, mit dem Fell auf der Innenseite. Seichtes
Gewäsch über Tiergeister, die sich mit denen der Menschen paaren. Er schien zu glauben, Gestaltwandler seien Opfer einer Art von dämonischer Besessenheit. Das alles im Zusammenhang mit Blutgeschlechtern. Die Deutschen sind fasziniert von Blut, von der Reinheit der Rassen, von der Kraft alter Vampirgeblüte.«
    »Wie dem des Grafen Dracula?«
    Moreau schnaubte. »Ein Ältester, der nichts unversucht gelassen hat, um äußerste Verwirrung zu stiften. In seinem Aberglauben ermutigt er die Narren, Vampire für übernatürliche Geschöpfe zu halten. So wiegt er sich in Finsternis.«
    West beendete seine Untersuchung und streifte die feuchten Handschuhe ab.
    »1909 habe ich an der Miskatonic University eine Vorlesung von Professor ten Brincken gehört«, sagte

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