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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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am nächsten. Und er brauchte einen Ältesten. Daran gab es keinen Zweifel. Ein Neugeborener würde seinen Zwecken nicht genügen. Die Kraft eines Vampirs war eine Frage des Geblüts. Der Rote Baron und seine mörderischen Kameraden waren der lebende Beweis dafür.
    Eine Fußangel schloss sich um seinen Knöchel, und spitze Dornen bohrten sich in seinen Stiefelschaft. Er wirbelte herum, riss
seine Propellerkrücke in die Höhe und richtete sie auf das Ding, das ihn umklammert hielt.
    Im Dunkeln hörte er einen Menschen krächzen. Winthrop sah große Augen in einem kohlschwarzen Gesicht. Und schimmernde weiße Zähne, ausgefahrene Vampirhauer, die unter den verschmorten Lippen zum Vorschein kamen.
    Es wäre ein Gnade, mit dem Propeller zuzustechen.
    Ein heiseres Röcheln drang aus dem versengten Schlund. Winthrop spürte eine zweite Hand an seinem Knie. Die Kreatur versuchte, sich an ihm hochzuziehen, sich aufzurichten.
    Es war der Pilot. Winthrop konnte das Gesicht beim besten Willen nicht erkennen. Das Röcheln erstarb, und der Pilot tätschelte ihm beinahe entschuldigend das Knie und ließ sein Bein dann los. Der Lumpenkerl rappelte sich mühsam hoch. Anhand seiner verkrüppelten Gestalt identifizierte Winthrop den Vampir als Albert Ball. Der Pilot hatte seinen zweiten Zusammenstoß mit Richthofens fliegendem Monstrositätenkabinett tatsächlich überlebt, wenn auch nur knapp. Die Fliegerkluft war mit seinem Fleisch verschmolzen und hatte sich in seine Knochen eingebrannt.
    »Gütiger Himmel«, sagte Winthrop.
    Ball verzog sein lädiertes, ledriges Gesicht zu einem Lächeln und streckte eine verrenkte Klaue aus. Winthrop ergriff die zarte Hand und drückte sie so vorsichtig wie möglich, um dem Piloten nicht die Finger abzubrechen. Trotz des Stulphandschuhs, der ihn davor bewahrte, Balls ölig schillernde Haut berühren zu müssen, spürte er die glühende Hitze in den Gliedern des Piloten.
    »Wir müssen Sie nach Hause schaffen«, sagte Winthrop.
    Zustimmend senkte Ball den kahlen Kopf. Die Fliegerhaube war an seinem Schädel festgeschmolzen. Eine Wolkenbank verdunkelte den Mond. Es herrschte tiefe Finsternis.
    Schon allein hatte er kaum eine Chance gehabt. Nun musste
Winthrop versuchen, mit dem schwer verwundeten Ball hinter die Linien zu gelangen.
    Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm.
    »Kommen Sie, alter Knabe«, sagte er zu Ball. »Ich glaube, es geht hier entlang.«
    Sie marschierten in die Richtung, aus der das Donnern britischer Geschütze drang.

21
Das Schloss
    M it preußischer Gelassenheit ließ Oberst Kretschmar-Schuldorff eine türkische Zigarette von seiner Unterlippe baumeln. Der Rauch, der das Coupé erfüllte, begann zu wabern, als sie die Straße zum Château hinauffuhren. Der Offizier saß Poe und Ewers gegenüber, und unter seinem Mützenschirm leuchteten scharfe Augen, aus denen vage Belustigung zu sprechen schien. Keiner der drei spiegelte sich in den dunklen Wagenfenstern. Trotz der schlechten Straße fand sich der Fahrer auch bei Nacht spielend zurecht. Poe bangte um Ewers’ Gepäck, das auf dem Dach festgezurrt war.
    »Wir bekommen nur selten Besuch auf Malinbois«, bekannte Kretschmar-Schuldorff. »Unsere Räumlichkeiten sind recht primitiv.«
    Poe war gnädig gestimmt. Schlimmer als im Ghetto konnte es kaum kommen. Ewers hingegen, dessen Reizbarkeit beständig zunahm, schien nicht geneigt, eventuelle Ungelegenheiten klaglos hinzunehmen.
    »Das Château ist sehr alt«, sagte der Offizier. »Als Cäsar Gallien
eroberte, stand an seiner Stelle eine Festung. Teile des Gebäudes wurden bereits um die Jahrtausendwende errichtet. Für Vampire ist es von großem historischem Interesse. Es ist nämlich nach dem Sieur du Malinbois benannt, einem Ältesten, der im dreizehnten Jahrhundert vernichtet wurde.«
    »Ein Unteroffizier am Bahnhof meinte, auf dem Schloss gehe es nicht mit rechten Dingen zu«, sagte Poe. »Es sei ein böser Ort.«
    Kretschmar-Schuldorff zuckte die Achseln, ohne den Tabakrauch aufzuwirbeln. Ein sardonisches Lächeln begleitete seine scheinbar souveräne Geste.
    »Wie Ihr berühmtes Haus Usher, meinen Sie? Wer wollte sagen, was böse ist? Die alten Vorurteile sitzen tief.«
    »Der Bauer war kein echter Patriot«, schnaubte Ewers. »Man sollte ihn melden und unverzüglich degradieren.«
    »Es gibt durchaus Patrioten, die für das Château du Malinbois nur wenig übrig haben«, sagte Kretschmar-Schuldorff. »Wer weiß, Herr Ewers? Womöglich werden auch Sie an unserem

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