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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Größe.
    »Wer wollte dem Glauben schenken? Und wenn er es mit eigenen Augen gesehen hätte, wer wollte dem Glauben schenken?«
    »Dazu bedurfte es des Auges eines Dichters, Herr Poe. Aus diesem Grunde haben wir nach einem Dichter schicken lassen. Nun, da Sie es gesehen haben, ist es an Ihnen, den Rest der Welt zu überzeugen.«
    Ein einzelner Flieger hinkte den anderen hinterdrein. Ein großer Riss klaffte in einer seiner Lederschwingen, und er hatte alle Mühe, sich in der Luft zu halten. Der lädierte finstere Engel verfehlte den Landeplatz, klatschte gegen den Turm und klammerte sich mit Haken und Klauen an das uralte Gemäuer. Mit baumelndem Schwanz und angelegten Flügeln kletterte der verletzte Flieger hinauf zu seinen Kameraden. Poe teilte seinen Schmerz, fragte sich, wie er sich fühlen mochte …
    »Ich will mehr sehen«, sagte Poe. »Bringen Sie mich auf der Stelle dort hinauf.«
     
    Kretschmar-Schuldorff winkte eifrige Wächter und verblüffte Posten beiseite und verschaffte ihnen freie Bahn durch das Château. Schneidige Ehrengrüße wurden entboten und Papiere vorgelegt.
    Mit Poe an der Spitze stiegen sie die Turmtreppe hinauf. Ungeduldig erklomm er die steinerne Spirale. Der konsternierte Ewers
folgte wortlos, wie eine Gouvernante, welche die übergroße Freiheit, die nachsichtige Eltern ihren Schützlingen gewähren, stillschweigend missbilligt. Poe wollte die wunderbaren Geschöpfe sehen. Alles andere war unwichtig geworden.
    Die Treppe wurde breiter und mündete in eine große, mit Steinplatten geflieste Kammer. Mondlicht stach durch pfeilförmige Fensterschlitze. An den Wänden hingen Leuchter mit brennenden Fackeln. Ein Vorhang bauschte sich leicht, und kalte Luft wehte herein. Ein strenger Tiergeruch durchzog den Raum.
    Im Fledermausschatten eines Hünen kam er schlitternd zum Stehen. Der Flieger war noch größer, als er angenommen hatte. Poes Augen befanden sich auf gleicher Höhe mit den Stulpen eines Paars riesiger, gewichster Stiefel.
    Er hob den Blick und sah einen mit lichtem Fell bewachsenen Körper, dessen menschlicher Ursprung deutlich zu erkennen war. Die angelegten Schwingen glichen einem bodenlangen Umhang aus lebendigem, beseeltem Samt. Vor der Brust hing eine Art Koller aus Segeltuch und Leder, an dem ein Zwillings-MG befestigt war. Aber das war noch nicht alles: Gurte zur Versteifung spitzer Stacheln, Seile zur Verspannung der Flügel. Aus den Achselhöhlen sprossen - praktisch, aber wenig elegant - muskulöse Arme mit dreifingrigen Händen zur Bedienung der MGs.
    Als der Schädel sich verkleinerte, wurde aus einer eng anliegenden Fliegerhaube eine weite Kapuze; auf erhöhten Plattformen bereitstehende Ordonnanzen zogen sie der Kreatur vom Kopf. Die feurigen Augen schrumpften, die Ohren zogen sich zusammen, ganze Zahnreihen glitten in Kieferscheiden zurück. Der gähnende rote Schlund ging zu, und es bildeten sich menschliche Lippen. Das Fell verschwand wie ein sich auflösender Schleier.
    »Herr Poe«, sagte Kretschmar-Schuldorff, »das ist Manfred, der Baron von Richthofen.«
    Poe war sprachlos.

    Der Rote Baron nahm wieder menschliche Gestalt an. Ordonnanzen umschwärmten ihn wie Domestiken, befreiten ihn von Stiefeln, Gurtwerk und Gewehren. Jetzt, da er schrumpfte, drohte sein Fliegerzeug ihn zu erdrücken und musste vorsichtig entfernt werden. Die Ausrüstung wurde in Regalen verstaut.
    Die beiden Burschen des Barons gingen zügig und geschickt zu Werke. Sie waren, erstaunlicherweise, warmen Blutes.
    »Diese Männer dienen dem Baron bereits seit Kriegsbeginn«, erklärte Kretschmar-Schuldorff. »Feldwebel Fritz Haarmann und Korporal Peter Kürten. Sie sind die Knappen unseres Ritters der Lüfte.«
    Haarmann und Kürten versahen schweigend ihren Dienst. Sie hatten vermutlich Angst vor ihrem Herrn und Meister. Hinter der Fledermausmaske kam Richthofens kantiges, blauäugiges Gesicht zum Vorschein. Poe kannte es von den Sahnke-Sammelkarten, die an deutschen Bahnhöfen verkauft wurden.
    Die anderen Flieger strömten in die Kammer, ihre spitzen Schädel und bucklichten Rücken streiften die steinerne Decke. Dutzende von Männern standen bereit, um ihnen bei der Verwandlung behilflich zu sein. Es herrschte so rege Betriebsamkeit, dass nur Poe Zeit zum Nachdenken fand.
    »Das ist Professor ten Brincken. Der Direktor unserer Forschungsabteilung.«
    Kretschmar-Schuldorff deutete auf einen graugesichtigen, breitschultrigen Mann im schmuddeligen weißen Kittel. Knurrend verglich der

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