Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
darüber nachzudenken, was in der Luft geschehen war. Noch nicht.
    »Wir müssen weiter«, sagte Ball und drückte seine Zigarette an der steilen Wand des Trichters aus.
    Sie durchquerten die Kratersohle. Wenn er sich aufrichtete, schmerzte Winthrops Rücken. Seit Stunden ging er gebückt, um möglichst nicht aufzufallen.
    Ball blieb stehen, reckte den Kopf und spitzte die Ohren wie ein Gefahr witternder Hund. Noch bevor Winthrop ihn fragen konnte, was los war, erhob sich ringsum tiefste Finsternis.
    Sie waren von einem Wald lebender Vogelscheuchen umzingelt. Jäh elektrisierte Leichen stiegen aus ihren Gräbern oder lösten sich aus wirren Haufen. Waffen wurden auf sie gerichtet, und sie spürten die Berührung kalter Hände. Winthrop fühlte eine schmerzhafte Klaue an seiner Kehle und eine Bajonettspitze zwischen den Rippen.
    Wieder wusste er, dass nur Sekunden ihn vom Tode trennten. Fauliger Atem wehte ihm ins Gesicht. Hätte der Würgegriff um seine Kehle sich gelockert, wäre ihm wahrscheinlich schlecht geworden.
    Er konnte die Uniform des Soldaten, der ihn festhielt, nicht sofort identifizieren. Schlammstarrende Lumpen klebten ihm am Körper, als sei der Mann ein Wilder aus den Dschungeln Afrikas. Um seine Schultern lag ein Umhang aus einem mit Zweigen und Laub besetzten Tarnnetz. Ein Halsband aus Patronenhülsen und Fingerknochen baumelte auf seiner Brust.
    Ein Zündholz flammte auf, und Winthrop blickte in ein bärtiges Gesicht. Rote Augen glommen in einer Maske aus Schmutz und Kot. Scharf gezackte Vampirzähne knirschten, benetzt mit blutigem Speichel.
    »Wer da? Freund oder Feind?«
    Die Stimme gehörte einem Briten, jedoch keinem Offizier.
Winthrop hätte schwören können, dass er aus dem Norden Englands stammte. Seine Angst ließ nach.
    »Lieutenant Winthrop«, sagte er mit zugeschnürter Kehle. »Geheimdienst.«
    Das Wesen lachte, und Winthrops Angst kehrte zurück. Der Würgegriff lockerte sich nicht. In den roten Augen brannten Bosheit und Hunger.
    »Du kannst mir nichts vormachen«, sagte der tote Brite. »Du bist ein Wilddieb.«
    Winthrop drohte langsam zu ersticken.
    »Das Recht, auf diesem Anwesen zu jagen, ist ausschließlich der Herrschaft vorbehalten«, sagte der Soldat und wies in die mit Toten übersäte Wildnis. »Ich bin als ihr Vertreter eingesetzt.«
    Ein zweiter auferstandener Toter trat hinzu, um den Fang zu inspizieren. Er befand sich außerhalb seines Reviers: Die Überreste einer österreichischen Uniform deuteten darauf hin, dass er von der Ostfront desertiert war, um hierherzugelangen. Eine Gasmaske ohne Augengläser gab seinem Kopf das Aussehen einer großen Zwiebelknolle. Runenzeichen waren in das Leder geritzt, und über dem Filterrüssel prangte ein aufgemalter Schnurrbart.
    »Ha, Schwejk«, rief Winthrops Peiniger, »uns ist ein Beamter des Geheimdienstes ins Netz gegangen.«
    Schwejk lachte, dumpf und höhnisch. Unter der Maske blickten seine Augen verärgert hervor.
    »Gut gemacht, Mellors. Vielleicht kann er uns einen geheimen Dienst erweisen.«
    Schwejk sprach mit starkem ausländischem Akzent.
    Die Meute trug nicht nur britische und österreichische, sondern auch deutsche, französische und amerikanische Uniformen. Zudem sah Winthrop manche Kluft, die die Ausrüstung verschiedener Kriegsparteien in sich vereinte. Ein goldhaariger Junge mit scharlachrot bemaltem oder verfärbtem Gesicht hatte einen französischen
Waffenrock am Leib, einen deutschen Stahlhelm auf dem Kopf und einen amerikanischen Karabiner über der Schulter.
    Winthrop und Ball wurden quer durch den Granattrichter gezerrt. Winthrops Propeller knickte weg. Er unterdrückte einen Schrei, als der Schmerz in seinem Knie von neuem explodierte. Er durfte sich nicht die geringste Blöße geben.
    In der Wand des Kraters befand sich eine mit Netzen und Schutt getarnte Öffnung. Ein schmutziger Vorhang glitt beiseite. Sie wurden in einen Tunnel gestoßen.
    »Das hier war früher ein Franzmanngraben«, erklärte Mellors, Winthrops Peiniger. »Dann war es ein Hunnengraben. Jetzt ist es unser Reich.«
    »Wer sind Sie?«, fragte Winthrop.
    »Nous sommes les troglodytes«, antwortete ein Franzose.
    »Ganz recht, Jim«, bellte ein Österreicher. »Wir sind Höhlenmenschen, Primitive …«
    »Für dich immer noch Jules«, sagte der Franzose. »Dass ich dir das jedes Mal erklären muss. Ich schreibe die Gedichte, er fügt die Fußnoten hinzu.«
    »Wir haben uns einen Bau gegraben«, erklärte Mellors. »Hier unten gibt es

Weitere Kostenlose Bücher