Die Vampire

der anderen Seite des Schützengrabens«, sagte Mellors, »sondern der aufgeblasene Lamettahengst, der ihn in die Schlacht und in den Tod schickt. Ob König oder Kaiser, ob Ruthven oder Dracula. Nichts als Schweine, einer wie der andere.«
    »Wir sind brave Soldaten«, brüllte Schwejk. »Wir sind die Troglodyten!«
    Mellors nahm seinen Tarnumhang ab und drapierte ihn über einen Sarg. Die längliche Brettertruhe war aus alten Munitionskisten zusammengezimmert.
    »Sie sind nicht unser Feind«, sagte Mellors freundlich.
    »Das freut mich. Dann können Sie uns ja weiterziehen lassen …«
    »Sie sind warmen Blutes und können uns nichts anhaben. Nur die toten Hände der alten Männer fügen uns Leid und Schaden zu. Diese verkalkten Narren mit ihren Titeln und Ehrenämtern, ihren Stammbäumen und Blutgeschlechtern, sie sind die Ungeheuer, die uns zu dem gemacht haben, was Sie vor sich sehen.«
    Ball verdrehte die Augen. Auch er war gefesselt und wurde von zwei Höhlenmenschen hochgehievt. Dicht unter der Decke waren, farblich auf das fürchterliche Fresko abgestimmt, Eisenhaken in die Betonwand eingelassen. Ball baumelte, mit den Armen hinter dem Rücken, von einem der beiden Haken, seine Schultergelenke knackten. Er fauchte durch hervorsprießende Zähne.
    »Dieser Mann hat gelitten«, sagte Mellors. »Das ist nicht zu übersehen. Aber warum musste er leiden? Was braucht es ihn zu
kümmern, welcher dünnblütige Schmarotzer über ein paar Yards morastigen Geländes herrscht?«
    Ball demonstrierte echten Korpsgeist und schrie auf wie ein tollgewordenes Tier. Mit wütendem Knurren verfluchte er seine Peiniger.
    Winthrops Hände wurden in die Höhe gerissen. Die Stacheln rissen sein Fleisch in Fetzen. Brennender Schmerz durchzuckte seine Schultern.
    »Nein, mein Lieber, Sie sind nicht unser Feind, aber Sie könnten unsere Rettung sein. Wie Sie sehen, gehen unsere Vorräte zur Neige.«
    Schwejks Kopf blähte sich hinter der Maske. Seine Augen traten, von Wolfshaar umwuchert, durch die Löcher.
    Zwei Troglodyten hoben Winthrop hoch. Er ritzte sich die Handgelenke, als sie ihn auf den Haken hievten. Seine Peiniger ließen ihn los, und er scharrte mit den Fersen an der Wand. Sein Gewicht zog ihn nach unten, doch seine Füße reichten nicht bis zum Boden. Ein höllischer Schmerz traf ihn wie ein Peitschenhieb zwischen die Schulterblätter.
    Ein Troglodyt, ein Schotte im Kilt, beschnüffelte sein geschwollenes Knie. Er zog ihm den Stiefel aus, riss Winthrops Beinkleider entzwei und ließ seine lange, sandpapierne Zunge über die Wunde gleiten. Winthrop hatte alle Mühe, seine Übelkeit zu unterdrücken.
    Mellors streckte die Hand aus und kniff ihn in die Wange.
    »Mit etwas Glück halten Sie sich ein paar Wochen«, sagte er.

23
Vermisst
    E s war vielleicht das Beste, wenn sie versuchte, so klein und harmlos wie ein Maulwurf zu erscheinen. Also spielte sie das Dummchen und klimperte hinter ihren Augengläsern kokett mit den Wimpern. So hatte sie schon ihre Kindheit überstanden. Dennoch konnte sie sich nicht recht vorstellen, dass Dravot auf diesen Trick hereinfallen würde. Wenigstens hatte man sie nicht verhaftet und in eine Zelle geworfen. Zwar hätte Dravot sie mit Freuden in den derzeit ungenutzten Schweinestall gesperrt, doch besaß er, ohne einen Offizier im Rücken, nur beschränkte Handlungsvollmacht.
    In der Pilotenmesse war Kate der dernier cri. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie dies gewiss zu ihrem Vorteil nutzen können. Piloten waren nervöse, schwatzhafte und ruhmredige Burschen. Wenn sie die Ohren offenhielt, ließen sich vielleicht neue Erkenntnisse gewinnen.
    Dravot stand mit gesenktem Kopf im Schatten der niedrigen Decke und ließ Kate nicht aus den Augen. Doch selbst er hielt es für unwahrscheinlich, dass sie einen verräterischen Sabotageakt begehen könnte.
    Da Major Cundall, der Geschwaderkommandeur, sich auf Streife befand, hatte ein krummnasiger Amerikaner namens Captain Allard das Kommando. Nachdem er mit stechenden Augen in Kates Herz gesehen hatte, überließ er sie den Fliegern als Maskottchen, während er überlegte, ob sie sofort oder erst bei Morgengrauen gepfählt werden sollte.
    Kate stand in der Obhut dreier lächerlich junger Briten: Bertie, Algy und Ginger. Sie boten ihr Tierblut an, das sie dankend zurückwies. Sie kannte diese Sorte Männer. Sie scherzten ohne
Unterlass, wetteiferten gutmütig um ihre Gunst und markierten knabenhaften Schneid, indem sie ihre Rede mit allzu