Die Vampire
keinen Krieg.«
Nach ein paar Yards war der abschüssige Lehmboden mit Brettern ausgelegt, und die Decke wurde von stabilen Grubenstempeln gestützt.
»Deutsche Wertarbeit«, sagte Mellors. »Immer um die Bequemlichkeit der Streitkräfte besorgt.«
Auf diese Bemerkung brachen die Männer in schallendes Gelächter aus. Insbesondere die Deutschen.
Sie waren Abtrünnige, Deserteure sämtlicher Parteien. Offenbar alles nosferatu. Winthrop hatte von solch degenerierten Kreaturen gehört, die sich, durch fortwährenden Fronteinsatz verrückt
geworden, mitten im Kriegsgebiet verschanzten und wie Tiere um das nackte Überleben kämpften. Bislang hatte er diese Geschichte als Kriegslegende abgetan, wie die der Gespenster-Bogenschützen von Mons, der gekreuzigten Kanadier und der Russen mit Schnee an den Stiefeln.
»Wir bekommen nur selten warmblütigen Besuch«, sagte Mellors mit leicht spöttischem Unterton. »Es ist uns eine große Ehre.«
Winthrop glaubte den Singsang von Derbyshire in Mellors’ Stimme zu vernehmen. Der Soldat war offenbar nicht ungelehrt, schien sich jedoch nicht anmerken lassen zu wollen, dass er eine Schulbildung genossen hatte. Auf seinen Schultern prangten schlampig angenähte Sterne. Womöglich war er wegen Tapferkeit im Felde vom Gemeinen zum Lieutenant befördert worden. Er durfte diesen unseligen Spitzbuben nicht unterschätzen.
Eingekeilt zwischen Jules und Jim, leistete Ball keinerlei Widerstand. Er sammelte seine Kräfte und suchte im Stillen nach einem Ausweg. Winthrop wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte.
Der Gang wurde breiter und mündete in einen Unterstand, der einer steinzeitlichen Höhle ähnelte. In Ölfässern brannten Feuer, welche die tiefliegende Decke mit einer dicken Rußschicht überzogen. Derbe, aber eindrucksvolle Bilder von Raub, Mord und Vergewaltigung waren mit Stiefelwichse, Blut und Erde an die Wand geschmiert. Zu der collage gehörten Porträts von Kaiser und König, Abbildungen von Generälen und Politikern, Reklame aus der Berliner und Pariser Presse sowie persönliche Fotografien verschollener Soldaten. Geliebte, Ehefrauen und Familien komplettierten das Inferno in Rot und Schwarz. Das Ganze wurde von einem vieläugigen, vielmäuligen Ungeheuer verschlungen, das den Krieg symbolisierte.
Ein scheußlicher Gestank von Verwesung, Blut und Exkrementen hing in der Luft. Selbst gezimmerte, mit den Habseligkeiten
ihrer Bewohner geschmückte Särge standen an den Wänden aufgereiht. Erbeutete Waffen und Kleider lagen in losen Haufen überall verstreut. Vereinzelt waren auch Menschenknochen zu sehen, manche alt, manche bedrohlich frisch. Die Troglodyten vegetierten tagsüber in diesem Senkloch und kamen nur bei Nacht hervor, um sich von den Toten und Sterbenden zu nähren.
»Willkommen in unserem trauten Heim«, sagte Mellors, von überschwänglichen Gesten begleitet. »Wie Sie sehen, haben wir uns ein Utopia fernab des Wahnsinns an der Oberfläche geschaffen. Wir haben unsere Streitigkeiten beigelegt.«
»Hier gibt es weder Deutsche noch Franzosen, weder Briten noch Österreicher«, setzte Schwejk hinzu. »Alles Verbündete, alles Kameraden.«
Mellors ließ Winthrops Hals los. Als er sich vorbeugte, um würgend nach Luft zu schnappen, wurde er geschickt herumgewirbelt. Seine Hände wurden mit Stacheldraht gefesselt. Die Dornen bohrten sich in seine Haut und machten jede Gegenwehr zur Höllenqual.
»Und die Rangordnung ist aufgehoben«, sagte Mellors.
»Sie tragen aber noch immer Ihre Sterne«, wandte Winthrop ein.
Mellors grinste hämisch.
»Und deshalb, Sir, bin ich in Ihren Augen wohl schon ein Offizier. Und nicht etwa ein Emporkömmling mit Stipendium.«
»Ich hätte es wissen müssen«, stieß der klägliche Rest von Albert Ball zwischen den blanken Zähnen hervor. »Ein bürgerlicher Gymnasiastenlümmel.«
Mellors brach in bitteres Gelächter aus. Balls Hohn und Spott setzten Winthrop in Verlegenheit. Er hatte Greyfriars besucht, hielt sich deshalb jedoch nicht für einen besseren Menschen. Gute Schulen brachten ebenso viele Schurken und Schwindler
wie Missionare und Märtyrer hervor. Selbst Harry Flashman war ein Absolvent der Rugby School.
Nach allem, was geschehen war, schien es absurd, dem Wortstreit zweier grotesker Vampire über die Vorzüge ihrer alten Schulen lauschen zu müssen. Der in Nottingham geborene Ball unterschied sich seiner Herkunft nach nicht allzu sehr von Mellors.
»Der wahre Feind des Soldaten ist nicht der Soldat auf
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