Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
erstaunlich oft seinem Urteil. Es war an ihm, in Streitigkeiten zu vermitteln, die Vorgehensweise festzulegen oder die Glaubwürdigkeit einer bestimmten Anekdote zu beurteilen. Wäre Mellors nicht gewesen, hätten die Troglodyten Winthrop auf der Stelle in Stücke gerissen, statt ihn sich ordentlich einzuteilen.
    Mellors war ihr Anführer und Schwejk sein heiliger Narr. Nachdem alle etwas zum Besten gegeben hatten, stand Schwejk auf und spielte eine Geschichte vor, die seine Zuhörer schon kannten, die Sage von der Gefangennahme der beiden verbrannten Männer, die vom Himmel gefallen waren, dem buckligen Ball und dem aufrechten Winthrop. Er äffte die beiden nach, und seine ausgezeichnete Imitation von Balls undeutlicher Stimme rief brüllendes Gelächter hervor.
    In Balls schwarzem, versteinertem Gesicht glommen rote, wache Augen.
    Als Schwejk seine Vorstellung beendet hatte, stand Mellors auf, ging zu den Gefangenen und inspizierte Winthrops geschwollenes Knie.
    »Üble Verstauchung«, sagte er ohne eine Spur von Schadenfreude. »Aber es ist nichts gebrochen.«
    Er löste den Schnürsenkel von Winthrops verbleibendem Stiefel
und zerrte ihn herunter, dann zog er ihm die dicken, steifen Socken aus. Seit er an dem Haken hing, spürte Winthrop seine Füße nicht mehr, sondern sah sie nur noch als dicke, rote Klumpen.
    »Das Blut ist in Ihre Füße geströmt«, sagte Mellors und stieß nach einem prallen Zeh. »Perfekt.«
    Mellors ließ einen Dorn aus seinem Daumen sprießen und ritzte Winthrops Fuß. Der verspürte ein Kribbeln, als ein schmales Blutrinnsal hervorquoll.
    »Freunde, es gibt für alle genug zu trinken. Stellt euch auf.«
    Schwejk war als Erster an der Reihe; er hob seine Gasmaske und nahm gierig einen kleinen Schluck. Winthrop fühlte etwas Warmes, Feuchtes an seinem Fuß. Und winzige, spitze Stacheln. Einer nach dem anderen traten die Troglodyten vor, um sich an seinem Blut zu laben.
    Zwar war er mit Vampiren vertraut, doch hatte er nie Blut gespendet. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Dies war kein gemeinschaftliches Lusterlebnis. Insgeheim hatte er gehofft, die Aufmerksamkeit einer Ältesten auf sich lenken und ihr seinen Hals darbieten zu können. Kate Reed schien eine aussichtsreiche Kandidatin. Oder er und Catriona würden sich gleichzeitig verwandeln, in blutroter Umarmung voneinander trinken. Er dachte an Vorhänge, die sich sanft im Mondlicht bauschten, und winzige Nadelstiche in einem Meer lustvoller Unterwerfung.
    Münder setzten sich an seine Füße, Zähne bohrten sich in seine Haut, und sein Lebenssaft sprudelte hervor. Je mehr Blut er verlor, desto erträglicher wurden die Schmerzen. Seine Arme waren eiskalt, seine Hände nutzlose Steingewichte.
    Während sich die Troglodyten nährten, sah Mellors zu ihm hoch.
    »Die Natur verlangt ihr Recht«, erklärte der Vampir. »Da hilft kein Jammern und kein Klagen.«

    Wenn eine der Kreaturen Gefahr lief, einen über den Durst zu trinken, schritt Mellors ein und stieß sie zu den anderen zurück.
    »Immer sachte, Raleigh. Nicht so gierig. Lass Voerman auch noch etwas übrig.«
    Ein wildäugiger subalterner Brite machte einem jungen, langzüngigen Deutschen Platz. Der Meute war eine gewisse hündische Geschmeidigkeit zu eigen. Sie waren vermutlich tapfere Kämpfer. Winthrop hatte ein Gefühl, als hätten eisige Rasiermesser seinen Fuß bis auf die Knochen freigelegt. Endlich war es vorbei.
    Winthrop hing ausgedörrt und kalt an seinem Haken. Einer der Troglodyten holte einen Verbandstornister hervor und bandagierte Winthrops Füße. Danach nahm er sein Knie unter die Lupe, pulte Kies und Sand heraus und umwickelte es mit einem festen Feldverband. Als der Medikus sein Werk vollendet hatte, waren Mellors und er die Einzigen, die noch nicht in ihren Särgen lagen. Die anderen hatten sich - gestärkt, doch nicht gesättigt - unter Brettern oder Decken verkrochen.
    Mellors entließ den Arzt und überprüfte Winthrops Handgelenke. Da sein ganzes Gewicht auf dem Haken lastete, konnte er sich weder hochhieven noch auf andere Art befreien. Ball baumelte wie Dörrfleisch an der Wand; Rücken und Arme waren so verkrümmt, dass er aussah, als hinge er an einem unsichtbaren Kreuz. Seine freiliegenden Augen starrten ins Leere. Mellors zog sich zufrieden in seinen Sarg zurück und raffte seinen Tarnumhang um sich. Im Handumdrehen schlief er wie ein Toter. Winthrop kämpfte verzweifelt gegen seine Erschöpfung an. Sein Leib wog mehrere Tonnen und zog seine

Weitere Kostenlose Bücher