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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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ich höre, werden wir hohen Besuch bekommen. Und Sie werden sich im Zentrum des Geschehens befinden.«
    Es war ein erhebender Moment. Poe tat einen schwindelerregenden Blick in den Mahlstrom der Geschichte.
    »Heute Abend müssen Sie auf den Turm kommen. Der Baron geht auf Beute aus.«
     
    »Da sind Sie ja«, rief ten Brincken, als Poe das Gewölbe betrat. »Gut.«
    Der Professor hatte sein Misstrauen abgelegt und sich davon überzeugen lassen, dass Poes Buch seinen Ruf befördern werde. Er hatte die Angewohnheit, sich mit druckreifen Sentenzen an den Dichter zu wenden.
    Trotz Theos Überrock (der, wie er inzwischen wusste, der Garderobe eines toten Offiziers entstammte) war Poe durchgefroren bis auf die Knochen. Da er unausgesetzt von mörderischen Winden gepeitscht wurde, war der Turm eine arktische Falle. Die Fugen zwischen den Steinquadern waren vereist. Jeden Morgen
kletterten mit Vorschlaghämmern bewaffnete Soldaten ein eigens zu diesem Zweck errichtetes Gerüst hinauf und schlugen die Eiszapfen herunter, die sich über Nacht gebildet hatten.
    Baron von Richthofen stand, in Habtachtstellung und menschlicher Gestalt, in der Mitte der steingefliesten Kammer. Poe entbot ihm einen Ehrengruß, der jedoch unerwidert blieb. Der Flieger trug einen langen, wattierten Morgenmantel. Es wimmelte von Wissenschaftlern. Ten Brincken bellte Anweisungen wie ein abtrünniger Priester, der die Messe so schnell wie möglich hinter sich zu bringen versucht. Die Kollegen des Professors waren ein halb der mittelalterlichen Mystik, halb der Moderne verhafteter Haufen. Dr. Caligari, der Nervenarzt, war ein Born absonderlicher Praktiken und geheimnisvoller Theorien. Schäbig gekleidet lauerte er im dunklen Schatten und machte sich in runenhafter Schrift Notizen.
    »Wenn Sie die Güte hätten«, wandte sich ten Brincken an Richthofen, »sich zu verwandeln.«
    Richthofen nickte knapp, zog den Morgenmantel aus und stand da wie ein nackter Siegfried. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine Ordonnanzen gingen mit der Ausrüstung des Nachtkriegers in Stellung. Kürten ächzte unter dem Gewicht der Gewehre des Barons.
    Richthofen begann zu wachsen. Seine Schultern wurden breiter, seine Wirbelsäule länger. Muskeln schwollen wie nasse Schwämme. Adern blähten sich wie Feuerschläuche unter Druck. Fell bedeckte seinen Körper und überzog die ledrige Haut mit einem dichten Pelz. Knochen dehnten, streckten sich und fügten sich in eine neue Ordnung. Sein Gesicht verfinsterte sich. Rings um die Augen und den Unterkiefer sprossen Hornstacheln aus seinem Schädel. Fledermausohren schossen hervor. Der Baron schlug die Augen auf, seine Pupillen waren groß wie Fäuste. Das kühle Blau war unverkennbar, die Verbindung zwischen Mensch und Übermensch.
Richthofen streckte die Arme aus. Die Gelenke wurden dürr und sehnig, und Vorhänge aus Leder fielen und wuchsen zu Schwingen zusammen.
    Ten Brincken sah auf seine Taschenuhr. Sein strubbelköpfiger Gehilfe Rotwang vermerkte eine Ziffer auf einem Formular.
    »Der Prozess geht von Mal zu Mal schneller vonstatten, Herr Poe. Bald wird es nur noch einen Lidschlag dauern.«
    Kürten und Haarmann halfen Richthofen in seine Stiefel, erklommen eine Leiter und hängten ihm seine Gewehre um den Hals. Da seine Arme zu Schwingen geworden waren, ließ der Baron sich neue Arme wachsen. Sie wirkten weitaus weniger rudimentär als bei der letzten Verwandlung des Fliegers, sondern sahen wie die von Leder umhüllten Arme eines Menschen aus. Die beweglichen, vierfingrigen Hände umfassten die Griffe der Gewehre. Die Läufe ragten senkrecht in die Höhe.
    »Seine Gestalt entwickelt sich mit jeder neuen Verwandlung«, erklärte ten Brincken. »Das Ideal, nach dem wir streben, ist in greifbare Nähe gerückt.«
    Poe hörte das vergrößerte Herz Richthofens schlagen, ein mächtiger Puls.
    »Früher oder später wird dies der wahre Manfred von Richthofen sein. Seine menschliche Gestalt ist dann nur mehr eine Maske, eine Verkleidung, in die er nach Belieben schlüpfen kann.«
    »Könnte er sich denn nicht dauerhaft verwandeln?«
    Ten Brincken schüttelte den Kopf und grinste wie ein Gorilla. »Nichts ist von Dauer, Herr Poe. Die Gestalt dieser Geschöpfe wird immer fließend bleiben. Sie werden sich den Bedingungen der Umgebung anpassen, in der sie kämpfen werden.«
    Der Baron legte, noch immer in Habtachtstellung, die Flügel an und blickte durch die Öffnung in der Turmspitze. Die Sterne am Himmel funkelten wie

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