Die Vampire
und salutierte. Karnstein erwiderte den Ehrengruß.
»Manfred ist ein tapferer Bursche«, sagte der Älteste. »Lassen Sie uns beten, dass er wohlbehalten zurückkehrt.«
»Wollte ich mir Sorgen machen, so würde ich um Baron von Richthofens Opfer bangen. Er ist schließlich unbesiegbar.«
Karnsteins Gesicht war eine graue Maske, hinter der sein wahres Alter zum Vorschein kam.
»Kretschmar-Schuldorff«, sagte er mit matter Stimme, »niemand ist unbesiegbar.«
32
Wege zu Kraft und Schönheit
K ate erwachte in der dröhnenden Finsternis ihres Schädels. Wie immer, wenn sie zwei oder drei Tage durchgeschlafen hatte, waren ihre Augen mit einer dicken Kruste überzogen. Der Faden, der sie an einen ewig jungen Leichnam kettete, war seit ihrem Tod beständig dünner geworden. Ihr Körper war ein Hotel, das sich wegen eines unvorhergesehenen Wettereinbruchs oder einer internationalen Krise urplötzlich geleert hatte. Und nicht mehr ihr Zuhause.
Heftiges Sodbrennen verriet ihr, dass sie dringend Nahrung brauchte. Sehr dringend sogar. Ihre geschwollenen, scharf gezackten Hauer fühlten sich an wie zerbrochene Murmeln. Geifer floss ihr aus dem Mund, lebensnotwendige Flüssigkeit. Sie schluckte würgend Speichel.
Ihre Augenkruste barst. Es war Nacht, und sie befand sich nach wie vor in Edwins Zimmer. Sie war nur mit ihrem Kleid und einem Leintuch bedeckt. Die behelfsmäßigen Schlafgewänder verströmten einen strengen Geruch. Sie hatte keine Brille auf.
Ein Mann saß auf dem Bett. Seine brennende Zigarrenspitze glomm in der Dunkelheit wie eine ferne Sonne. Seine Silhouette war in sich zusammengesunken.
»Edwin«, krächzte sie. Ihre trockene Kehle schmerzte.
Die Silhouette drehte eine Lampe hoch. Es war Charles. Im harten Schatten des grellen Lichts wirkte sein Gesicht furchtbar gealtert.
»Ach, Kate, was haben Sie bloß wieder angestellt?«
Ein stechender Schmerz durchbohrte ihr das Herz, als ob ein eingefleischter Anhänger Van Helsings sie mit einem glühenden Eisenpflock aus ihrer Mattigkeit gerissen hätte.
»Edwin …«
Charles schüttelte den Kopf.
»Winthrop ist nicht mehr der Alte. Er hat sich verändert. Er hat sich sogar sehr verändert, wenn auch vielleicht nicht, wie Sie es sich erhofften.«
Das war nicht nett! Charles traf mutwillige Unterstellungen und zog falsche Schlüsse. Die Schuld wurde ungerecht verteilt. Die Stimme wollte ihr nicht gehorchen. Sie konnte sich nicht rechtfertigen.
»Ich dachte, wir waren uns einig, dass Sie Frankreich ein für alle Mal verlassen würden?«
Kate trommelte sich mit den Fäusten auf die Brust. Es war ihr peinlich, dass Charles sie in diesem Zustand sah. Denn sie war nicht nur schwach, sondern auch nackt.
»Sie sind eine jämmerliche Kreatur«, sagte er.
Charles drückte seine Zigarre in einer Untertasse aus und stand auf. Seine Gelenke krachten wie bei einem alten Mann, und er zog den Kopf ein, damit er sich nicht an der Decke stieß. Er hockte sich neben sie und ächzte leise, als seine Knie den Fußboden berührten. Unter dem Nachttisch stand eine Emailleschüssel. Charles fand einen feuchten Waschlappen und säuberte ihr damit das Gesicht, wischte ihr den getrockneten Speichel aus den Mundwinkeln und den Schlaf aus den Augen. Als er zufrieden war, nahm er ihre Brille vom Tisch, klappte sie auf und setzte sie ihr auf die Nase.
Plötzlich konnte sie alles im Zimmer klar erkennen, und sie befiel ein leichter Schwindel. Aus der Nähe betrachtet, waren die winzigen Falten um Charles’ Augen tiefe Furchen.
»Durst«, sagte sie zögernd. Das Wort war selbst ihr unverständlich. Sie hätte sich ohrfeigen können. Sie musste sich in die Gewalt bekommen. »Durst«, sagte sie noch einmal, klar und deutlich.
Endlich hatte Charles verstanden und griff nach dem Wasserkrug neben der Schüssel.
Sie schüttelte den Kopf. »Durst.«
»Kate, Sie stellen unsere Freundschaft auf eine harte Probe.«
Sie konnte ihm nicht sagen, was sie meinte. Sie konnte nicht erklären, weshalb ihr roter Durst sie so sehr quälte. Sie hatte zu viel Blut verloren, an Arrowsmiths Heimatschuss-Patienten, an Edwin …
Er berührte sie am Hals. Ein Funke sprang über. Charles begriff. Das hatte er von Geneviève gelernt.
»Sie sind ja halb verhungert. Völlig ausgeblutet.«
Er hielt ihr die Lampe vors Gesicht. Sie blinzelte, während er sie interessiert betrachtete.
»Was erblicken meine trüben Augen? Eine graue Strähne, Kate«, sagte er mit gespielter Schadenfreude. »Sie sehen
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