Die Vampire
Château du Malinbois, ein Raunen und Tuscheln hallte durch die Gänge und Gemächer, stach durch die Ritzen zwischen den gewaltigen Steinquadern. Poes Sinne vibrierten vom Gemurmel der Lebenden und Toten, dem Scharren und Schnattern der Ratten im Gemäuer. Er versuchte sie zu überhören, diese unentwegte Flut von Worten, Worten, Worten …
Theo von Kretschmar-Schuldorff brachte ihm einen Überrock aufs Zimmer.
»Die Kälte in dieser Festung spüren selbst die Toten«, erklärte der Offizier.
Poe nahm das Geschenk dankend an. Der Überzieher war zwar einige Zoll zu lang, aber von guter Qualität, mit zwei Reihen goldglänzender Knöpfe. Die Rangabzeichen hatte man entfernt.
»So, Eddy. Jetzt sind Sie zur Musterung bereit.«
»Ich war ein guter Soldat, Theo. Ich bin schon in den Krieg gezogen, als Sie noch nicht geboren waren. Vor meiner Verwandlung wurde ich, zum Lohn für meine Leistung, vom Gemeinen zum Sergeant befördert. Als Neugeborener war ich Offizier der Konföderierten.«
»Ich wusste gar nicht, dass auch Dichter gute Soldaten abgeben können. All die Vorschriften und Verordnungen …«
»Ich trat in die Armee ein, um mich vom Schreiben zu erholen. Und der Krieg um die Unabhängigkeit der Südstaaten war ein Krieg der Dichter, in dem Träumer und Idealisten gegen Puritaner und Manufakturbesitzer kämpften. Genau wie dieser Krieg ein Krieg der Dichter ist.«
Theo zeigte sich erstaunt über Poes Bemerkung.
»Wir kämpfen für die Zukunft, Theo. Graf von Dracula verkörpert Glanz und Gloria der Vergangenheit, ohne sich davon blenden zu lassen. Unter seinem Banner wird sich die Welt verändern. Die Verwandlung in einen Vampir ist der Inbegriff der Modernität.«
Der Offizier zuckte die Achseln. »Sie sind ein echter Patriot.«
»Einem Ehrenmann bleibt gar nichts anderes übrig.«
Theo schlenderte durchs Zimmer und versuchte einen Blick auf die Papiere auf dem Schreibtisch zu erhaschen. Poe beugte sich instinktiv nach vorn, wie ein Schuljunge, der seine Kameraden bei einer Prüfung am Abschreiben zu hindern sucht. Der Offizier musste unwillkürlich lachen. Poe richtete sich auf und lehnte sich zurück.
»Dann haben Sie also angefangen? Ewers hat sich schon beschwert, Sie ließen sich gar recht viel Zeit.«
Ewers war in Theos Achtung nicht gestiegen.
»Ich habe angefangen«, erklärte Poe.
»Und? Wird es eine spannende Geschichte von Blut und Ehre?«
»Wir werden sehen.«
»Unser Held ist eine wunderliche Kreatur, nicht wahr?«
»Wir alle sind wunderliche Kreaturen.«
»Sie würden einen hervorragenden Geheimdienstoffizier abgeben, Eddy. Sie sind so verschwiegen. Genau wie unser roter Baron.«
Nach tausend fehlgeschlagenen Versuchen war es Poe schließlich gelungen, einen wirren Wust von Worten zu einem ersten Kapitel zu ordnen. Da er über die eigenen Aussagen des Helden keinen Zugang zu Richthofen hatte finden können, hatte er auf persönliche Eindrücke und Erinnerungen zurückgegriffen und zunächst seine Ankunft im Château du Malinbois geschildert, sein erstes Zusammentreffen mit den wunderbaren Wesen des Himmels und der Finsternis.
»Bald werden Sie von neuen Ruhmestaten zu berichten haben. Die anderen haben mich überstimmt.«
Theo hatte sich dafür starkgemacht, das JG1 sporadisch ausschwärmen zu lassen, weil es den Alliierten mehr Angst machte, wenn sich das Gerücht langsam verbreitete. Er hielt die Gestaltwandler für eine ähnlich verheerende Waffe wie Giftgas und vertrat die Ansicht, dass das Geschwader dem Feind moralisch weitaus größeren Schaden zufügen könne als im Felde.
»Nicht mehr lange, und wir werden unsere Karten offenlegen müssen.«
»Eine Frühlingsoffensive?«
Theo zuckte die Achseln. »Das am schlechtesten gehütete Geheimnis
in der Militärgeschichte. Wie tarnt man eine Million Soldaten? Die Briten und Franzosen werden entlang ihrer Linien fünf Meter dicke Wälle errichten und jede Menge Yankees in ihre Stellungen werfen.«
»Wälle kann man überfliegen.«
Das Flüstern klang ihm noch immer in den Ohren. In jedem Winkel waren Verschwörungen im Gange. Jeder plante ein Komplott, gegen alle anderen. Allianzen wurden geschlossen und gelöst, Pläne ausgetüftelt und verworfen, Treueschwüre geleistet und verletzt. Wenn die Kaiserschlacht zum Sieg führen sollte, mussten die Mittelmächte zu einem eisernen Hammer geschmiedet werden. Die Bewohner dieses Schlosses waren instabile Atome, die unablässig durcheinanderwirbelten und kollidierten.
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher