Die Vampire
aus, als hätten Sie sich nie verwandelt. Jammerschade, dass Sie sich nicht selbst betrachten können.«
Kate hatte kein Spiegelbild. Auf Fotografien war sie nicht zu erkennen. Die wenigen Porträtskizzen, die es von ihr gab, hätten eine Fremde darstellen können. Vor ihrer Verwandlung war sie für ihre Schönheit nicht eben berühmt gewesen.
»Wenn Sie sich nicht verwandelt hätten, wäre eine bezaubernde Frau aus Ihnen geworden«, schmeichelte Charles.
»Ich sehe aus wie ein Maulwurf, Charles. Mit zerzaustem Haar und Sommersprossen.«
Er lachte, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass sie einen vollständigen Satz herausbringen konnte.
»Sie sind zu bescheiden. Mädchen, die man seinerzeit für weitaus hübscher hielt als Sie, sind zu fetten, missgelaunten Frauenzimmern herangewachsen. Sie hingegen wären mit dreißig erst erblüht. Ihr Gesicht hätte an Ausdruck nur gewonnen.«
»Unsinn.«
»Woher wollen Sie das wissen, Kate?«
»Als wir alle noch am Leben waren, haben Sie um die Hand der reizenden Penelope angehalten und das hässliche Maulwurfsgesicht Kate gar nicht beachtet.«
Ein alter Schmerz zerfurchte seine Stirn. »Junge Männer irren sich gelegentlich.«
»Ich war bis über beide Ohren in Sie verliebt, Charles. Nachdem Sie Ihre Verlobung mit Penny bekanntgegeben hatten, habe ich tagelang geweint. Das trieb mich in die Arme von Frank Harris. Und Sie sehen ja, was er aus mir gemacht hat.«
Sie fuhr sich mit den Fingern durch das strähnige Haar und kämmte Staub und Dreck heraus.
»Ich wollte, ich könnte Ihnen länger als ein paar Minuten böse sein, Kate.«
Mit durchgedrückten Knien stand er auf und setzte sich auf einen Hocker. Sie wich erschrocken zurück, presste sich das Leintuch an die Brust und stemmte den Rücken gegen die Wand.
»Was ist hier passiert?«, wollte er wissen.
»Wie geht es Edwin?«
Als gewohnheitsmäßiger Geheimniskrämer zögerte er mit der Antwort.
»Sie zuerst.«
»Er hat mein Blut getrunken.«
Er nickte.
»Aber ich habe ihn nicht angerührt.«
Er schüttelte den Kopf.
»Er hoffte wohl, sich die Kraft eines Vampirs aneignen zu können, ohne sich verwandeln zu müssen.«
»Ist so etwas möglich?«
»Ich weiß nicht. Fragen Sie einen Wissenschaftler oder Ältesten. Oder befragen Sie Ihr Herz.«
Charles stellte sich nicht dümmer, als er war. Geneviève hatte
ihm einen Teil ihrer Kraft vererbt. Durch Liebe, dachte Kate. Oder Osmose.
»Was ist … aus ihm geworden?«
Charles machte sich Sorgen um seinen Protegé. Nur deshalb hatte er bei ihr gewacht.
»Er erfreut sich bester Gesundheit. Er hat seine Flugprüfung bestanden und wird fortan als Vertreter des Diogenes-Clubs mit dem Geschwader Condor fliegen. Er hat sich eine einzigartige Position geschaffen und alles unternommen, ihr gerecht zu werden.«
»Aber Sie machen sich dennoch Sorgen?«
»Wie ich Ihnen bereits sagte, hat er sich verändert. Ich gestehe das nur ungern, aber er macht mir Angst. Er erinnert mich an Caleb Croft.«
Wieder zerriss ein wilder Schmerz ihr fast die Brust. Rippenspeere umschlossen ihr Herz wie eine Knochenfaust. Sie schlang die Arme um sich und versuchte ihre zuckenden Glieder zu beruhigen.
Charles löste seinen rechten Manschettenknopf, schob sich den Rockärmel über den Ellbogen und krempelte sein Hemd auf. Sie schloss die Lippen über ihren schmerzenden, vorspringenden Hauern und schüttelte den Kopf. Ihr Herz lechzte nach Blut.
»Bin ich Ihnen womöglich ein zu alter Jahrgang, Mademoiselle Connaisseuse? Am Ende gar schon sauer geworden?«
Seit seiner Zeit mit Geneviève hatte Charles niemandem mehr sein Blut geopfert. Das wusste Kate mit Sicherheit.
Er setzte sich auf den Boden und zog sie auf seinen Schoß. Als sie seine Wärme spürte, erkannte sie mit Schrecken, wie kalt sie war, wie nah am Tod.
»Es geht nicht anders, Kate.«
Er bot ihr die Innenseite seines Handgelenks. Winzige, längst verheilte Male ließen erkennen, wo Geneviève ihn einst gebissen hatte.
Für eine Vereinigung, wie Kate sie sich in ihren Kindertagen gewünscht hatte, war es ein für alle Mal zu spät, doch sein Blut würde ihr Überleben sichern. Und Überleben hieß neue, ungeahnte Perspektiven.
»Danke für Backobst«, sagte sie. Er lächelte.
Sie nahm seine Hand und leckte ihm mit langer, rauer Zunge das Handgelenk. Ein heilender Wirkstoff in ihrem Speichel sorgte dafür, dass die Wunde binnen einer Stunde wieder verschwand. Charles’ Lächeln wurde breiter. Er wusste, was nun
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