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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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einen Jäger wie ein vorzeitiges Begräbnis.
    Ein Tier spürte ihnen nach. Poe hörte es im hohen Gras leise rascheln. Es war ein kleiner Hund. Der Baron hatte ihren Verfolger ebenfalls bemerkt und warf alle paar Schritte einen gierigen Blick in seine Richtung.
    Während seines dreistündigen Fluges in der vergangenen Nacht hatte Richthofen viermal zugeschlagen und einen RE8-Aufklärer, eine französische Spad, eine Sopwith Camel und einen britischen Beobachtungsballon erbeutet. Sechs Männer, darunter vier Vampire, hatten den Tod gefunden, und die Abschussbilanz des Barons hatte sich um drei Siege erhöht. Ballons wurden getrennt gezählt. Der Franzose, Nungesser, hatte eine hohe Abschussbilanz gehabt. Dieser Sieg, den der Baron in seinem offiziellen Bericht über Gebühr gewürdigt hatte, sollte als einer seiner größten in die Geschichte eingehen.
    »Wie würden Sie Ihre nächtlichen Leistungen beurteilen?«
    »Die Jagd hat sich gelohnt. Ich habe mit einer Ausnahme von allen meinen Opfern getrunken.«
    »Was ist Ihnen wichtiger, der Aderlass oder das Töten?«
    Poe bereute seine Frage sofort. Sie erregte das Misstrauen des Barons. Zunächst hatte Poe angenommen, Richthofen mit solchen Vorstößen tatsächlich verblüffen zu können; nun wurde ihm klar, dass Richthofen lediglich seine Worte abwog, um die Aufmerksamkeit der Luftwaffen-Zensoren nicht zu erregen.

    Der Hund, ein triefäugiger weißer Beagle, kam zwischen den Grashalmen hervor und tappte auf sie zu. Der Köter war bestimmt ein Leichenfledderer.
    »Nur der Sieg zählt«, antwortete Richthofen nach einer Weile.
    »Und was verstehen Sie unter einem Sieg?«
    Der Baron wandte sich ab und ließ den Blick über das spiegelglatte Wasser schweifen.
    »Und was verstehen Sie unter einem See, Herr Dichter?«
    Es war ein unscheinbarer See. Trübe, aber nicht versumpft, nicht schön, aber auch nicht hässlich. In der Nacht, als Richthofen Balls Beobachter hatte davonkommen lassen, war hier ein britischer Kampfpilot niedergegangen. Die Flieger hatten die Wrackteile mit einem Netz herausgefischt und an der Trophäenwand im Schloss befestigt. Der Leichnam des Piloten war verschollen geblieben.
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich kann Ihnen sagen, was mir der Aderlass, das Blut einer schönen Frau bedeutet …«
    »Frauen«, schnaubte der Baron.
    Theo unterdrückte ein Grinsen und blickte auf.
    »Ich will mich nicht rechtfertigen«, sagte Poe. »Auch wenn ich, der Not gehorchend, in den Krieg zog, so bin ich doch kein Mörder aus Passion.«
    »Mein Bruder behauptet, die Liebe sei ihm wichtiger als der Kampf. Aber er macht sich etwas vor.«
    »Für mich ist der Akt des Vampirismus eine zärtliche Vereinigung, ein Ausweg aus der Einsamkeit, eine Bekräftigung des Lebens im Tode …«
    »Das ist mir zu hoch, Herr Dichter. Haben Sie etwa noch nie getötet?«
    Poe schämte sich. Bleiche, tote Frauen spukten ihm im Kopf herum. Zähne, Augen und unendlich langes Haar.
    »Doch«, gestand er, »ich habe getötet. Insbesondere als Neugeborener.
Damals wusste ich noch nicht, was mit mir geschehen war.«
    »Ich bin ein Neugeborener. Ich bin erst seit acht Jahren ein Vampir. Professor ten Brincken hat mir versichert, dass ich mich fortlaufend verändern werde.«
    »Aber werden Sie auch immer mehr zum Mörder?«
    Richthofen nickte knapp. Er zog eine Pistole aus einem Lederhalfter und gab einen wohlgezielten Schuss ab. Die Kugel durchbohrte den Schädel des verdutzten Beagle. Er bäumte sich auf, dann schoss Blut aus seinen Ohren, und er brach tot zusammen.
    »Lächerliches Vieh«, stieß Richthofen schaudernd hervor. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war ihm das harmlose Tier ebenso widerlich wie eine pestverseuchte Ratte.
    Die beiläufige Tötung erfüllte Theo mit Schrecken. Der Schuss hallte von allen Seiten wider, ein Generalangriff auf Poes empfindliche Trommelfelle. Ein Entenschwarm brach aus dem Schilf. Der Geruch des Hundeblutes kitzelte Poes roten Durst. Obgleich er das Tier widerwärtig fand, erinnerte es ihn an Gigis süßen Duft. Auf Malinbois wurden den Fliegern manchmal warmblütige Frauen zur Verfügung gestellt. Poe lechzte nach Blut.
    »Ich töte für mein Vaterland«, sagte Richthofen. »Ich erfülle meine Pflicht.«
    »Wer weiß, welche Veränderungen Sie in den kommenden Jahrhunderten durchmachen werden? Vielleicht wird Ihr Vaterland Sie irgendwann von Ihrer Pflicht entbinden. Und auch Sie werden lernen zu lieben.«
    Traurig, kalt und kreidebleich sah

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