Die Vampire
kommen würde.
»Nur zu, mein liebliches Geschöpf«, sagte er mit sanfter Stimme. »Trink.«
Sie nahm eine Hautfalte zwischen die oberen und unteren Schneidezähne. Ihre Hauer trafen krachend aufeinander. Blut überschwemmte ihren Mund.
Der Geschmack des roten Saftes war wie eine Explosion. Stromstöße durchzuckten ihren Körper, stärker als beim herkömmlichen Liebesakt. Die Zeit schien außer Kraft gesetzt: Charles’ Blut prickelte ihr auf der Zunge, kitzelte ihren Gaumen, rann ihr durch die ausgedörrte Kehle und löschte ihren brennenden Durst.
Kate unterdrückte einen wollüstigen Schauer und mahnte sich zur Selbstbeherrschung. Hätte sie von seinem Hals getrunken, hätte sie mehr über Charles erfahren. Das Handgelenk war so weit von Herz, Seele und Kopf entfernt, dass nur Gefühle zu ihr durchdrangen. Seine Gedanken und Geheimnisse hingegen blieben ihr verborgen.
Sie löste die Lippen von der frischen Wunde und sah ihm ins Gesicht. Er lächelte gequält. Unterhalb des Kinns pochte ein Puls, ein lockender blauer Finger. Sie krallte die Hände in seinen Rock. Wenn sie auf ihn kletterte, konnte sie vielleicht von seiner Quelle trinken.
Der Geruch des Blutes stach ihr in die Nase. Das schmale Rinnsal,
das sein Handgelenk befleckte, zog sie magisch an. Sie trank und ließ sich fallen …
… sie war in einem Traum versunken, Blut wärmte ihr die Kehle, verklebte ihr den Mund.
»Danke, Charles«, keuchte sie und leckte weiter.
Er strich ihr zärtlich übers Haar. Als sie das Gesicht an sein Handgelenk presste, verrutschte ihre Brille. Er rückte sie wieder gerade.
Sie hatte ihm zwar nicht sehr viel entnommen, doch die Kraft seines Geistes hatte sie gestärkt. Sie fühlte sich nicht länger fremd in ihrem Körper. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Sie hatte ihre Gliedmaßen in der Gewalt. Ihre Muskeln waren erfreulich biegsam und elastisch.
Sie schmiegte sich an Charles, während er sein Hemd herunterkrempelte und den Manschettenknopf aus seiner Westentasche fischte.
Er hielt die Lampe in die Höhe und betrachtete ihr Haar.
»Die grauen Strähnen sind verschwunden. Rostrot.«
Um ein Mindestmaß an Anstand zu wahren, presste sie sich ihr Kleid an die Brust und stand auf.
»Jammerschade«, sagte Charles. »Älter haben Sie mir besser gefallen.«
Sie ohrfeigte ihn mit ihrem Ärmel.
»Solche Frechheiten muss ich mir nicht bieten lassen, Mr. Beauregard.«
»Wenn Sie wütend werden, merkt man, dass Sie Irin sind.«
Sie errötete. Wenn sie frische Nahrung zu sich genommen hatte, wurde sie rot wie ein Landarbeiter.
Charles wollte aufstehen, doch es ging nicht. Sie hatte vergessen, dass er nach dem Aderlass vorübergehend geschwächt sein würde. Sie half ihm auf.
»Na bitte, Väterchen«, neckte sie. »Sie sollten sich nicht so verausgaben. In Ihrem Alter.«
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, warf alles Schamgefühl über Bord, schlängelte sich in ihr schmuddeliges Kleid und raffte es um ihre Hüften. An der Rückseite befanden sich Haken und Ösen.
»Würden Sie mir behilflich sein, Charles? Diese Knöpfe bringen mich noch um.«
»Ich bezweifle, dass es etwas gibt, das Sie umbringen könnte, Kate.«
33
Der Mörder
M ein Vater unterscheidet zwischen Sportsmännern und Schützen. Der Schütze jagt ausschließlich zum Vergnügen. Mein Bruder ist im Grunde seines Herzens ein Schütze. Lothar liebt die Fliegerei und die Gefahr. Der Sportsmann hingegen jagt ausschließlich, um zu töten. Wenn ich meine Beute aufgespürt habe, bringe ich sie umgehend zur Strecke, jeder Abschuss macht mich stärker.«
Wider seine Natur bemühte Baron von Richthofen sich aufrichtig um eine Erklärung. Theo trottete ihnen schweigend hinterdrein. Poe wusste, dass er daran dachte, wie der Baron mit seiner Beute gespielt hatte, statt sie umgehend zur Strecke zu bringen.
Der Tod von Albert Balls Beobachter nagte nach wie vor an Theos Herz.
»Wenn ich einen Engländer abgeschossen habe«, fuhr Richthofen
fort, »ist mein Jagdeifer etwa eine Viertelstunde lang gestillt. Dann kehrt der Drang sofort zurück …«
Sie gingen am Seeufer entlang. Der Himmel war bedeckt. Alle drei Vampire trugen große Schirmmützen und dunkle Brillen. Von seinem nächtlichen Beutezug gestärkt, war der Baron mitteilsamer als bei früheren Interviews. Theo hatte Poe auf die Idee gebracht, dass Richthofen sich außerhalb des Schlosses womöglich als gesprächiger erweisen würde. Zwischen vier Wänden eingesperrt zu sein war für
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