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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Augen an und verzog die Lippen zu einem unheimlichen Lächeln, das seine grünbemoosten Fangzähne entblößte. Während der Zeit des Schreckens, als der Premierminister zwischen den Revolutionären und dem Banner Draculas geschwankt hatte, hatte Croft befohlen, sie bei Ergreifung unverzüglich hinzurichten. Aufgrund einer Verwechslung hatte die Karpatische Garde in der Great Portland Street eine andere Frau gepfählt.
    »Was halten Sie davon, Miss … Reed - nicht wahr? - persönlich nach Amiens zu begleiten, Beauregard?«
    Charles ballte hilflos die Fäuste um seinen Stock und machte auf dem Absatz kehrt. Kate hatte ein deutliches Bild vor Augen:
Charles stellte sich vor, wie er seine Silberklinge zog und damit Crofts Herz durchbohrte.
    »Guten Tag, Miss Reed«, krächzte Croft. »Und auf Wiedersehen, Mr. Beauregard.«
    Gemeinsam verließen sie das Bauernhaus. Die Morgenluft war eisig. Wolken dräuten. Lärmend jagte ein Schwarm Camels vorüber und stieg auf in einen Himmel voller Gefahren.

37
Herr der Welt
    G raf von Dracula hatte, in Absprache mit Hindenburg und Ludendorff und unter der direkten Schirmherrschaft von Kaiser Wilhelm und Kaiser Franz Joseph, den großen Sieg der Mittelmächte geplant. Bald würde die Kaiserschlacht beginnen, der kompromisslose Vorstoß der deutschen Heere, verstärkt durch eine Million von der Ostfront abgezogener Männer, gegen die alliierten Linien und dann, nach dem großen Durchbruch, weiter nach Paris. Wenn Paris fiel, wäre Frankreich vernichtet, Großbritannien überrascht und Amerika verschreckt. Die alliierten Feiglinge würden auf der Stelle kapitulieren. Dann würde sich der Graf vermutlich den arrivierten Bauernherrschern des neuen Russland widmen und sich für kommende Kriege rüsten.
    Das frisch getaufte Schloss Adler sollte Dracula bei diesem kühnen Unterfangen als Gefechtsstand dienen. Von seiner Brut fliegender Halbgötter flankiert, würde der Vater des europäischen Vampirismus den Triumph seiner Armeen vom höchsten Turm des Schlosses aus verfolgen.
    Poe stand ganz im Banne dieses feierlichen Augenblicks. Bei
Sonnenuntergang stieg er aufs Dach und lauschte dem Lärm, der durch die Gänge und Gemächer hallte, als bislang unbewohnte Kammern geöffnet wurden. Ein Konvoi von Lastwagen war eingetroffen, ihre mächtigen Räder hatten die Straße zum Schloss breit- und plattgewalzt. Tüchtige Ingenieure spannten Telefonund Telegrafenleitungen.
    Eine Gruppe Uniformierter errichtete mühsam eine Funkantenne. Schon erhob sich eine neue Stahlkonstruktion auf dem uralten Gemäuer, bekrönt mit einem umgekehrten Haken.
    Die Uniformen erinnerten ihn an andere Soldaten in Grau, an eine andere gerechte Sache. Als er vor über fünfzig Jahren an der Spitze seiner Kompanie in Gettysburg einmarschiert war, hatte Poe dieselbe Erregung verspürt. Auch dies ein kompromissloser Vorstoß, auch dies ein Wendepunkt. Damals hatte die Geschichte eine falsche Richtung eingeschlagen. Diesmal würde es anders kommen. Mit Männern und Munition beladene Züge rasten quer durch Europa. Von seinem Ausguck sah er segmentierte schwarze Schlangen sich winden übers weite, in Dämmerrot getauchte Land, hörte er das Rattern der Räder auf den Gleisen. Deutschland wurde von Minute zu Minute stärker.
    Die letzten Tage hatte er mit Schreiben verbracht. Der rote Kampfflieger war nicht die anonym verfasste Autobiografie, die Mabuse in Auftrag gegeben hatte (Edgar Poe konnte seine Stimme nicht an eine andere fesseln, nicht einmal an die Manfred von Richthofens), sondern eine biografische Skizze, die allmählich auszuufern drohte, sich in Ideen und Philosophien verzettelte und die Politik von Staaten und Nationen mit der Beschaffenheit des Universums in Verbindung brachte. Seit Heureka hatte er kein so weites Feld mehr beackert.
    Er musste seine ganze Konzentration aufbieten, um das Thema seines Buches nicht aus den Augen zu verlieren. Bei der Arbeit wurde ihm klar, dass dies die letzte Möglichkeit war, seinen durch
den naiven Dogmatismus der Schlacht von St. Petersburg ruinierten Ruf wiederherzustellen. Seine Finger waren voller dunkler Tintenflecken. Seine Manschetten waren schwarz gesprenkelt. Indem er über eine bessere Welt und bessere Menschen schrieb, indem er sie bis in die kleinsten Einzelheiten schilderte, konnte er die Wirklichkeit seiner Vision einen Schritt näher bringen. Sein bis an den Rand des Wahnsinns getriebener Verstand musste sich dieser Anforderung gewachsen zeigen.
    »Eddy?«

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