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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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ihn lang genug zu überdauern, um seinen Willen zu erfüllen.«
     
    Abends wurde ihm eine warmblütige Frau namens Marianne vorgestellt. Ein Zug hatte eine ganze Anzahl von ihnen nach Schloss Adler verbracht, um jene Flieger, die keinen aktiven Gefechtsdienst leisteten, zu nähren und die anderen zu belohnen. Der Hals der Frau war nicht allzu verschorft, wenngleich sie ihr fortgeschrittenes Alter mit rouge zu übertünchen versuchte und sich so gefügig leiten ließ, dass sie Vampiren bereits seit geraumer Zeit zu Diensten stehen musste.
    In ihrem Blut fanden sich Spuren der anderen, die sie zur Ader gelassen hatten. Poe spürte kaum etwas von ihrem Leben. Ihr Gedächtnis war nahezu aufgezehrt, verbraucht. Dennoch linderte sie seinen roten Durst.
    Als sie in Schlaf gesunken war, trank er ein zweites Mal aus
den quellenden Wunden an ihrem Hals und ihrer Brust. Ihr Blut schärfte seinen Verstand und vertrieb die innere Unruhe, die er ebenso wie die anderen Schlossbewohner seit Orloks Ankunft verspürte.
    Plötzlich riss jemand die Tür auf. Poe zog Marianne ein Leintuch über das Gesicht.
    »Westturm«, sagte Theo. »Paradeuniform. In einer Viertelstunde.«
     
    Frühnebel und dichte Wolken ließen die Landschaft wie den Meeresgrund aussehen. Poe und Theo gesellten sich zu General Karnstein. Die Flieger waren ausgezogen, Engländer zu töten, während das übrige Schlosspersonal in Reih und Glied, wie zur Parade, angetreten war. Alle trugen Uniform: Ten Brincken, Caligari und die anderen Wissenschaftler hatten ihre Reservekluft hervorgekramt, und selbst Graf von Orlok trug Pickelhaube und einen tressenbesetzten Frack.
    Im Westen kamen die Flieger des JG1 in Sicht, eine Flucht riesenhafter Fledermäuse in perfekter Formation. Richthofen bildete die Speerspitze, mit gespreizten Flügeln. Der Anblick der Kreaturen flößte Poe noch immer Ehrfurcht ein.
    Mit scharfen Schwingen rissen die Flieger die dünne Wolkendecke in Fetzen und setzten zum Anflug auf Schloss Adler an. Der Baron ging auf einer steinernen Plattform nieder, beugte die Knie und nahm dann Haltung an. Seine Männer taten es ihm schneidig nach.
    Die Ingenieure machten sich an dem in Stein eingelassenen Himmelshaken zu schaffen. Plötzlich senkte sich ein Schatten über das Schloss, und alle richteten den Blick gen Himmel. Ein riesiges, walförmiges Etwas sank langsam durch die Wolken. Eine fix zusammengetrommelte Kapelle stimmte den »Walkürenritt« aus Wagners Ring des Nibelungen an.

    Hardt bellte Befehle, und Drahtseile fielen vom Himmel. Die Ingenieure hatten alle Mühe, die stählernen Peitschenriemen zu fassen. Ein Luftschiff hing bedrohlich tief über dem Schloss. Eines der Seile wurde an dem Haken befestigt, und eine Motorwinde sirrte.
    In Frontnähe waren Zeppeline eine Seltenheit. Insbesondere ein Prachtexemplar wie dieses. Am Bug des pechschwarzen Rumpfes, unmittelbar vor der Führergondel, prangte das scharlachrote Wappen Draculas.
    Alle reckten die Hälse. Alle bestaunten diese wundersame Flugmaschine, diesen Schlachtkreuzer der Wolken. Es war die Attila, das Flaggschiff der deutschen Luftflotte.
    An der Unterseite öffnete sich eine Klappe. Eine Gestalt im Fledermausumhang trat aus der Gondel und schwebte sanft zur Erde. Sie trug einen mit Hörnern bekrönten Helm, der ihr Gesicht gänzlich verhüllte, und eine blankpolierte Rüstung. Dracula landete auf dem Turm, und alle salutierten.

IV
    DAS ENDE EINER LANGEN REISE

38
Angriffsstreife
    W inthrop erwachte gegen zwei Uhr morgens. Er zog den Eimer unter seiner Pritsche hervor und erbrach sich. Seit Beginn seiner Verwandlung hatte er Schwierigkeiten, Essen und Trinken bei sich zu behalten. In fünf Minuten würde sein Wecker gehen. Trotz der Dunkelheit konnte er die Umrisse der Gegenstände deutlich erkennen. Alles schien tiefschwarz zu glühen. Wie eine Fledermaus spürte er es im Innenohr, wenn andere Kreaturen am Himmel kreisten.
    Er schwang die Beine über die Pritschenkante, zog Fliegerkluft und Stiefel an und versuchte seine Angst zu unterdrücken. Dies war seine erste Nachtstreife seit … seit dem ersten Mal.
    Da er keine Nachteule war, brauchte Winthrop ein paar Stunden Schlaf. Die Vampire saßen unten und zechten. Die anderen Vampire? Ein heftiger Krampf durchzuckte ihn. Das flaue Gefühl im Magen verriet ihm, dass er noch immer warmen Blutes war. Die spitzen Zähne in seinem Mund verrieten ihm, dass auch er bald zu den Untoten gehören würde. Doch für derlei Bedenken war jetzt

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