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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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würde er sich womöglich wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen. Notfalls würde er den Baron eben per Befehl zum Reden zwingen müssen.
    In den vergangenen Tagen hatte Richthofen, an der Spitze seines Rudels, fortwährend Nachteinsätze geflogen und seine beispiellose
Bilanz auf nahezu hundert Siege erhöht. Laut Tagesbefehl durfte kein alliiertes Flugzeug, das Erkenntnisse über die Truppenbewegungen in Verbindung mit der Kaiserschlacht gesammelt hatte, hinter die feindlichen Linien zurückkehren. Zudem holte das JG1 Dutzende von Ballons vom Himmel, was die Zahl der alliierten Beobachter erheblich dezimierte. Doch die Strapazen schienen dem Baron nichts auszumachen. Im Gegenteil, das Übermaß an Feindesblut ließ ihn derart aufschwellen, dass er allmählich Fett ansetzte. Er dachte schneller und war mitteilsamer als sonst.
    »Ballons interessieren mich nicht«, sagte er.
    »Weil sie nicht als Siege zählen?«
    Zu Beginn ihrer Zusammenarbeit hätte Poe es nicht gewagt, diese Vermutung auszusprechen. Inzwischen jedoch kannte er den Freiherrn gut genug, um sich einen Spaß mit ihm erlauben zu können.
    »Die Ballonjagd ist unsportlich. Und gefährlich. Wie Sie wissen.«
    Das JG1 hatte seinen ersten Verlust erlitten, durch Flugabwehrfeuer. Ernst Udet war beim Angriff auf einen Ballon von einer verirrten Silberkugel getroffen worden, hatte menschliche Gestalt angenommen und war leblos vom Himmel gefallen.
    »Ihr Fangvater wird bald hier eintreffen.«
    »Ich kenne Dracula bereits.«
    Das Zusammentreffen von Graf und Baron war auf einer millionenfach verkauften Sahnke-Karte für die Nachwelt festgehalten. Im Gegensatz zu Richthofen hatte Dracula kein Spiegelbild und erschien auf Fotografien als leere Uniform. Auf der Karte schüttelte ein steif posierender Baron einer Gestalt die Hand, deren Kopf, ein majestätisches Profil, nachträglich eingezeichnet worden war.
    »An meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, kurz nach meinem fünfzigsten Sieg, wurde ich nach Berlin zitiert. Dort lernte
ich Hindenburg, Ludendorff, den Kaiser, seine Gemahlin und Graf von Dracula kennen. Die Kaiserin ist eine nette alte Dame, sehr großmütterlich.«
    »Und die anderen?«
    Richthofen zögerte. Er wusste, dass es seine Pflicht und Schuldigkeit war, seine Vorgesetzten zu loben.
    »Unser Kaiser überreichte mir ein Geburtstagsgeschenk, eine lebensgroße Büste von sich selbst, aus Bronze und Marmor. Eine überaus typische Geste, wie ich finde.«
    Bei dieser Untertreibung musste Poe unwillkürlich grinsen. Es erstaunte ihn, dass der Baron überhaupt Kritik zu äußern wagte.
    »Was haben Sie damit gemacht?«
    »Ich habe sie meiner Mutter nach Schweidnitz geschickt, für meine Trophäensammlung. Beim Transport brach eine Schnurrbartspitze ab. Ich könnte niemals etwas Unvollkommenes ausstellen.«
    »Und die anderen?«
    »Hindenburg und Ludendorff hielten Vorträge und bestürmten mich mit technischen Fragen, deren Beantwortung mir in vielen Fällen schwerfiel. Als Hindenburg erfuhr, dass wir in Wahlstatt denselben Schlafsaal hatten, geriet er in nostalgische Schwärmerei. In all der Zeit hatte sich wohl kaum etwas verändert, auch wenn er mit der Schule weitaus glücklichere Erinnerungen zu verbinden schien als ich.«
    Hindenburg musste Wahlstatt besucht haben, kurz nachdem Poe in West Point gelitten hatte.
    »Meine Erinnerungen an die Kadettenanstalt sind mit den Jahren keineswegs rosiger geworden.«
    »Das wundert mich nicht.«
    »Und Dracula?«
    Poe rief sich seine kurze Begegnung mit dem Grafen ins Gedächtnis. Und wie beeindruckend er sie gefunden hatte.

    »Er ist von gewaltiger Statur und besitzt eine enorme Anziehungskraft. Seine geistige Präsenz ist überwältigend, er regiert mit unsichtbarer Faust. Er hat seine Nachkommen zu Sklaven gemacht.«
    »Neugeborene, die von Ältesten verwandelt wurden, sind ihnen häufig eng verbunden.«
    »Bei ›Tantchen‹ Perle war das anders. Sie ist fromm und bescheiden und weiß, was sich für sie geziemt. Aber da Draculas Blut in meinen Adern fließt, bin ich an ihn gekettet. Seine Gegenwart ist wie ein Sturmwind, der an den Gliedern zerrt und den Verstand in Stücke zu reißen droht. Er kann nichts dafür, so ist er nun einmal. Aber wie soll ich ihm nach Kräften dienen, wenn ich werde wie die Kreaturen, die ihm seit Jahrhunderten zur Seite stehen? Seine Frauen und Lakaien.«
    »Ist einer Ihrer Kameraden …«
    »… ihm jemals begegnet? Ich hoffe, dass wir uns als so stark erweisen werden,

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