Die Vampire
keine Zeit. Er musste sich auf Pflicht und Vergeltung konzentrieren.
Das Ankleiden ging automatisch. Er knöpfte und verschnürte sich und stapfte dann nach unten, was der dicken Gelenkschoner und der schweren Stiefel wegen nicht ganz einfach war. Am Boden war er steif und unbeweglich. In der Luft hingegen war er flink und behände wie seine Camel. Die Kälte drang selbst durch den dicksten Stoff.
»Hallo«, sagte Bertie. Für ihn war der Krieg ein einziger Witz. Wer in den Dutt ging, war nur schnell auf eine Kippe vor die Tür verschwunden und würde jeden Moment wiederkommen. »Warm eingepackt?«
»Du hast deine Kluft geschnürt wie Ball«, bemerkte Ginger.
Winthrop hatte die Messe durch die niedrige Tür betreten und sich instinktiv an Balls Handgriffe geklammert, damit er nicht umfiel wie ein Klotz. Er bekam in einem fort zu hören, er täte dies und jenes wie Albert Ball: fliegen, schießen, kriechen, kämpfen.
Die für die heutige Spritztour eingeteilten Flieger waren bereits in ihre Monturen geschlüpft. Zwar befand sich auch der eine oder andere Veteran des alten Geschwaders Condor unter den Auserwählten, doch die meisten waren, wie Winthrop, Neuzugänge, hauptsächlich amerikanische Vampire, Einzelkämpfer, die nur ein Ziel vor Augen hatten.
»Mach’s gut, alter Knabe«, rief Bertie, als Winthrop die Messe verließ. »Wir sehen uns bei Sonnenaufgang.«
Winthrop nickte vielsagend. Es hatte keinen Sinn zu leugnen, dass jeder Einsatz tödlich enden konnte. Er plante nie über den nächsten Flug hinaus.
Allard ließ die Männer wie zur Musterung antreten, um ein letztes Mal die Einzelheiten durchzugehen. Winthrop stellte sich neben Dandridge, einen Yank, der zwar ein unerfahrener Krieger, doch ein geschickter Jäger war. Der Älteste hatte jahrhundertelang unter Warmblütern gehaust und die Städte der Lebenden nach Beute durchstreift. Auch andere Neuzugänge - wie der tollkühne
Severin, der unersättliche Brandberg und der idealistische Knight - waren alt, hatten sich bereits vor 1880 verwandelt. Mr. Croft war davon überzeugt, dass jeder, der so lange Zeit Verfolgungen erlitten hatte, den Instinkt zu töten und zu überleben in sich trug. Zwischen den Ältesten-Assen und Cundalls Zeitgenossen kam es immer wieder zu Spannungen. Keine offenen Auseinandersetzungen, nur kleinere Reibereien.
Da Winthrop kein Vampir war, saß er zwischen allen Stühlen. Von Allard wusste er, dass Croft ihn akzeptierte. Er war bereits mit Ältesten geflogen. Sie eigneten sich besser für Tagesflüge als die zarthäutigen Neugeborenen.
Allard löste sich aus dem Schatten und baute sich vor seinen Leuten auf.
»Ich habe neue Anweisungen erhalten«, sagte Allard. Hinter ihm stand Caleb Croft, schwach schimmerndes Grau in schwarzem Samt. »Heute Nacht statten wir dem Château du Malinbois einen Besuch ab.«
Eiseskälte durchströmte Winthrops Adern. Erregung oder Angst konnte er sich jetzt nicht leisten. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde.
»Oder, wie das deutsche Oberkommando es inzwischen nennt, Schloss Adler.«
Die Neuzugänge waren über Malinbois in groben Zügen unterrichtet. Winthrops Bericht über seinen Flug mit Courtney war die einzige verlässliche Information über die Gestaltwandler des JG1. Während Winthrop im Lazarett gelegen hatte, war Richthofens Fledermausstaffel wiederholt dabei gesehen worden, wie sie Beobachter und Späher jagte, Ballonfahrer abschoss und die Linien in geringer Höhe überflog. Nur Winthrop hatte den Kampf mit den geheimnisvollen Kreaturen überlebt.
Allard fuhr fort: »Richthofens Brut hat uns daran gehindert, gesicherte Erkenntnisse über die nächtlichen Truppenbewegungen
der Deutschen zu gewinnen. Der Hunne bereitet eine Offensive vor und verstärkt seine Linien im Schutz der Dunkelheit mit Unmengen von Männern und Material. In diesem Sektor ist es bislang keinem einzigen Flugzeug gelungen, mit militärischen Informationen in seinen Heimathafen zurückzukehren. Uns sind weder Ballons noch Beobachter geblieben, die wir aufsteigen lassen könnten. Die Herrschaft des JG1 muss unter allen Umständen gebrochen werden. Zu diesem Zweck werden wir die deutschen Flieger in ein Gefecht verwickeln und beweisen, dass sie nicht unbesiegbar sind.«
Beim Anblick der betretenen Gesichter selbst der ältesten der Alten fing Allard urplötzlich, aus heiterem Himmel, an zu lachen. Es war kein aufmunterndes Lachen, sondern ein finsteres, unheimliches Kichern, das zu einem ebenso
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