Die Vampire
Vampir zu sein hieß, mit einer Art Sucht zu leben: nach Blut. Ein paar Tropfen genügten, um die Gier anzufachen. Die Warmblütigen gierten natürlich nach Essen und Trinken und nach Luft. Aber die Gier des Vampirs war stärker, grausamer, drängender.
»Für wen schreiben Sie?«, fragte sie Marcello.
Er ratterte Namen von Publikationen hinunter, die sie flüchtig kannte. Lo specchio, Oggi, Europeo.
Kernassy lachte. »Marcello hat einmal dieselbe Story gleichzeitig an den Paese sera und den L’Osservatore Romano verkauft.«
»Sie wird wohl kaum verstehen, was daran lustig ist, Graf«, flötete Penelope. »Katie, der Paese sera ist die Zeitung der Kommunistischen Partei Italiens, und der L’Osservatore Romano gehört dem Vatikan.«
Marcello zuckte die Schultern; es war ihm wohl nicht weiter peinlich.
»Die Kirchenleute und die Roten, sie können sich auf den Tod nicht ausstehen, weißt du«, erklärte Penelope weiter.
Kate fragte sich, ob wohl jemand etwas dagegen hätte, wenn sie Penny den Hals umdrehte.
Der Graf hatte eine Suite im Hotel Hassler, einem barocken Überrest der Glorie der Alten Welt, oben an der Spanischen Treppe. Der Älteste gab dem Portier ein Trinkgeld, mit dem Kate vermutlich einen Monat lang ihr Pensionszimmer hätte bezahlen können.
Kate, Penelope, Tom und Marcello setzten sich in die volle Bar, während Kernassy und Malenka sich oben häuslich einrichteten.
Klove trug zahlreiche Koffer aus dem Fiat zur Suite hinauf. Kate war sich ihres einen Köfferchens sehr bewusst. Penny machte eine Bemerkung darüber, dass sie mit kleinem Gepäck reise, womit sie - zutreffend - auf eine armselige Garderobe anspielte.
Marcello und Tom tranken Espresso, und Penelope bestand darauf, dass Kate das Angebot für Vampire probierte. Sie rief einen gut aussehenden jungen Ober mit ausdruckslosem Gesicht herüber. Er trug eine schmal gestreifte Weste und sehr enge schwarze Hosen. Penny bestellte ein Glas für sich - nur zur Geselligkeit, sagte sie - und eines für Kate.
Der Ober öffnete geschickt einen Druckknopf an seiner Manschette und krempelte den Ärmel hoch. Um seinen Ellbogen war eine Aderpresse gebunden, und in einer dicken Vene an seinem Unterarm steckte eine Stahlnadel, die durch ein kurzes durchsichtiges Kunststoffröhrchen mit einem Hahn verbunden war. Er öffnete den Hahn und ließ einen kleinen Spritzer seines Blutes in ein schmales Cocktailglas laufen. Penelope machte viel Aufhebens darum, zu schnuppern und zu kosten, dann bedeutete sie ihm fortzufahren. Der Ober schüttete je zwei Fingerbreit des roten Saftes über Eis und einen Limonenschnitz. Penny gab ihm eine Handvoll Lire und winkte ihn fort. Viel Vampirkundschaft konnte er nicht bedienen, bis er wiederbelebt werden musste. Kate fragte sich, wie viele Nächte in der Woche er arbeitete. Vertröpfelten hier verarmte Leute aus dem Süden ihr Leben, um ihren Familien Geld schicken zu können? Oder wurden sie alle von einem wählerischen Management sorgfältig unter die Lupe genommen?
Penelope hob ihr Glas und lächelte. Ihre zierlichen Fangnadeln waren verlängert.
»Wohl bekomm’s.« Sie stieß mit Kate an und nahm einen Schluck.
Kate sah zu Marcello und fragte sich, ob ihn dieser Anblick
wohl abstieß. Sie konnte es nicht sagen. Er hob in der Parodie eines Prosits seine winzige Kaffeetasse.
Ihre drei Begleiter sahen sie alle an, als sie den Cocktail probierte.
Es war wie ein Hammerschlag. Sie hatte seit Wochen kein Menschenblut gehabt. Sie zwang sich dazu, es nicht hinunterzustürzen. Es war gehaltvoll und würde sie betrunken machen, wenn sie es rasch trank. Sie genoss einen pfefferigen Mundvoll, bewegte ihn am Gaumen, schluckte dann sittsam.
»Signorina Reed, stimmt es, was man über italienische Männer sagt?«, fragte Marcello. »Ist unser Blut heiß?«
»Das hier nicht«, sagte sie. »Es ist mit Eis.«
Marcello lächelte mit aufrichtiger Liebenswürdigkeit.
»Das geht nicht anders«, sagte Tom. »Sonst würden Sie in Flammen aufgehen.«
Kate spürte eine gewisse Pingeligkeit bei Penelopes amerikanischem Freund. Wenn ihm öffentliche Zurschaustellungen von Vampirismus nicht gefielen, warum war er dann mit Penny zusammen? War er eifersüchtig, weil sie das umgefüllte Blut eines anonymen Obers trank anstatt seines direkt vom Fass?
Sie würde eine Weile brauchen, um aus diesen ganzen Leuten schlau zu werden. Falls man sich nach heute Nacht überhaupt wiedersah. Penny würde sie mit Freuden für den Rest ihres
Weitere Kostenlose Bücher