Die Vampire
achtzig Jahre, um eine richtige Frau zu werden, Kate. Pamela hatte eine Handvoll Sommer der scheinbaren Vollkommenheit. Wäre sie am Leben geblieben, wäre sie auch nicht viel anders als wir gewesen, das weiß selbst Charles. Keine Heilige mehr, sondern eine, die sich durchkämpft.«
Unvermittelt nahm sie Kates Hand.
»Eine von uns muss ihn verwandeln«, sagte sie mit roten Tränen in den Augen. »Wir dürfen ihn nicht gehen lassen.«
»Selbst wenn es das ist, was er sich am meisten wünscht? Bei Pamela zu sein statt …«
»Bei mir? Oder bei dir, Kate.«
Charles’ Tod würde für Kate das Ende der warmblütigen Welt bedeuten. Er war der letzte lebende Überlebende ihrer Jugend. Aber es war der Mann Charles, den sie festhalten wollte, nicht der viktorianische Charles, der vernünftige, ehrenwerte, gutherzige Diener an Königin und Vaterland.
In diesem Jahrhundert war einfach der Wurm drin.
»Nach dem richtigen Tod, kommt da noch etwas?«, fragte Kate.
Geneviève ließ Kates Hand los, als hätte sie einen Schlag bekommen.
»Woher soll ich das wissen?«
»Deine ganzen Jahre, als übernatürliches Wesen.«
»Wir sind alle übernatürliche Wesen, die Warmblütigen genauso wie die Untoten. Als Mädchen konnte ich die Religion nicht von der Kirche trennen. Das war eine weltliche Institution, die sich der Bewahrung ihrer Macht verschrieben hatte. Als ich verwandelt
wurde, hat man uns verfolgt. Diejenigen, die uns jagten und vernichteten, taten dies im Namen Gottes. In diesem Jahrhundert sind wir alle Geschöpfe der Wissenschaft, werden unsere Rätsel seziert. Diejenigen, die uns zu vernichten versucht haben, taten es im Namen der Wissenschaft, in einem kalkulierten Versuch, einen evolutionären Konkurrenten auszulöschen. Es läuft auf dasselbe hinaus.«
Die Nazis hatten versucht, den Volkskörper von den meisten Vampirgeschlechtern zu säubern. Selbst heute hörte Kate gelegentlich noch Warmblüter flüstern, dass Hitler da schon Recht gehabt hatte.
Seit Kate selbstständig denken konnte, war sie Agnostikerin gewesen. Jetzt fragte sie sich, ob die Seele unsterblich war.
»Es gibt Vampire, Geneviève. Es gibt Werwölfe. Gibt es auch Gespenster?«
»Ich denke schon, auch wenn ich noch nie einem begegnet bin.«
»Als junge Frau habe ich mir eingebildet, Dutzende zu sehen. Ich hatte einen spiritistischen Fimmel, wie die halbe Welt. Ektoplasma und Tischerücken. Es war alles sehr ›wissenschaftlich‹, weißt du. Wir Viktorianer hätten das Leben nach dem Tode gern genauso kartografiert wie Afrika. Wir wollten glauben, dass der Tod eine Veränderung darstellt, keinen Schlusspunkt. Wie sich natürlich herausstellte, war er für einige von uns, mich eingeschlossen, genau das. Nach meiner Verwandlung verlor ich das Interesse. Erst kürzlich ist mir klargeworden, dass das Rätsel nicht gelöst wurde, sondern nur links liegen blieb. Am Anfang kam mir das Vampirdasein wie Unsterblichkeit vor. Dann wurde mir bewusst, wie wenige von uns auch nur die normale Lebenserwartung erreichen. Gestern Nacht sah ich zwei Älteste von einem Augenblick auf den anderen sterben, wie alle Leute. Wir werden beide sterben, Geneviève. Und dann?«
Ihre Eisbecher waren geleert.
»Das ist vielleicht ein zu gewichtiges Thema für die Zeit und diesen Ort«, sagte Geneviève. »Dies ist eine Stadt des Lebens und des Todes. Diese Dinge klären sich ohne uns. Wir sind nur zwei schöne alte Damen …«
»Erspar mir das mit dem ›alten‹ Großmütterchen.«
»Wir sollten uns junge Liebhaber nehmen und uns von ihnen Kleider kaufen lassen.«
Kate dachte an Marcello und wurde rot.
Verdammt. Geneviève würde das natürlich nicht entgehen.
Kate sah weg, so dass der Schatten ihres Hutes über ihr Gesicht fiel.
»Kate?«
Sie wischte Tränen weg und ertappte sich dabei zu kichern.
»Kate, du bist noch keinen ganzen Tag hier …«
Geneviève machte ein verblüfftes Gesicht, kein missbilligendes. Sie lachte laut auf.
»Kate Reed, du bist ein stilles Wasser. Das steht mal fest.«
6
Liebesgrüße aus Moldawien
W ährend der Abend sich herabsenkte, wallte sein Blut auf. Seine Augen sprangen im Dunkeln auf. Den Nachmittag hindurch hatte er in einem abgedunkelten Zimmer im Hotel D’Inghilterra den Schlaf der Toten geschlafen.
Hamish Bond bedauerte den Verlust jener Übergänge des Halbschlafs, die er als warmblütiger Mann genossen hatte. Nach einem guten Essen, einem anstrengenden Tag oder einer Liebesnacht
mit einer schönen Frau hatte er
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