Die Vampire
prosperierende Bezirk war schwer von den Alliierten bombardiert worden; anschließend hatten darin Kämpfe zwischen Partisanen und Deutschen stattgefunden. Ein bekannter Priester war von den Nazis hingerichtet worden, als Rom eine offene Stadt gewesen war, und das hatte einen kleinen Aufstand ausgelöst. Nach dem Krieg verkam I Cessati Spiriti zu einem Slum. Hier wohnten diejenigen, denen man alles weggenommen hatte, und die verschiedensten Flüchtlinge, von denen etliche den Behörden der Friedenszeiten lieber aus dem
Weg gingen, außerdem die üblichen Armen. Die ungeplante Gemeinde wuchs und fiel wieder in sich zusammen, ein ums andere Mal.
Vor zehn Jahren dann hatte die Regierung De Gaspero ein umfassendes staatliches Bauprogramm zur Beseitigung der Barackensiedlungen und zum Wiederaufbau von I Cessati Spiriti initiiert, aber die zugewiesenen Gelder waren in die Kassen der Mafia geflossen. Bei den Bauarbeiten war so geschludert worden, dass viele Neubauten wieder einstürzten. Die Bevölkerung des Bezirks wuchs trotzdem weiter an, denn hierher strömte, wer aus dem von Dürrekatastrophen heimgesuchten Süden floh. Mit ihnen kam ein neues Blutgeschlecht. Ein seuchenzerfressener Haufen von auferstandenen Toten, deren Gehirne vom Fieber zerstört waren, sorgte dafür, dass ein Großteil der warmblütigen Bevölkerung fortzog. Nur eine unerschrockene Minderheit blieb in den Ruinen zurück und lernte, sich mit den dahintrottenden morti vivendi zu arrangieren. Cabiria lebte seit dem Krieg hier. Sie schien die Gegend ziemlich zu mögen. Marcello, stellte sich heraus, war noch nie hier gewesen.
Während der Ferrari über das weglose Ödland dahinglitt, zwischen Ansammlungen zusammengeworfener Hütten und stinkenden Schutthaufen hindurch, musste er den Eindruck eines Raumschiffs machen. Kate erinnerte die Gegend an die Schützengräben in Frankreich während des Angriffs der Deutschen 1918. Offene Feuer brannten auf den Schutthalden wie die Signalfeuer irgendwelcher Stämme.
Nahebei wurde ein Knäuel morti vivendi von warmblütigen verwilderten Kindern umzingelt, die sie mit Fackeln quälten. Aus der Ferne wirkten die wandelnden Toten wie verkrüppelte Landstreicher und konnten wenig gegen die schnellen, bösartigen Kinder ausrichten. Eine Kreatur kam dem Feuer zu nahe und verging in einem Funkenregen wie ein kreischendes Feuerrad. Brennend
fiel sie um, und zwei Jugendliche zerschmetterten ihr mit Brecheisen den Schädel.
Caribia führte sie zu einer Straße, die von Ruinen gesäumt war, von ausgebombten und notdürftig reparierten Gebäuden. Statt Straßenlaternen brannten Kohlenbecken, warfen flackerndes Licht auf Mauern voller Einschusslöcher. Kate konnte kaum glauben, dass in derselben Stadt auch die Via Veneto lag - allerdings ging einem das mit Whitechapel und der Kensington Road nicht anders.
Es ärgerte sie, dass ein so großer Teil der Welt ohne zwingenden Grund noch immer wie I Cessati Spiriti war.
»Ich wohne hier.« Cabiria zeigte auf einen zerborstenen Häuserblock. Sie hoffte offenbar darauf, dass einer der beiden vorschlug, einmal kurz dort »vorbeizuschauen«. Kate hatte die Absicht, die Hure für ihre Mühen zu bezahlen, wollte aber nicht ihre Dienste in Anspruch nehmen. »Und Signora Santona wohnt hier.«
Marcello parkte neben einem weiteren baufälligen Gebäude. Es war früher einmal eine Kirche gewesen. Das Dach fehlte; Plastikfolien ersetzten es. Manche Fensteröffnungen wiesen neben zerdrückten Blechkanistern und zurechtgeschnittener Pappe auch noch ein paar fleckige Scheiben auf.
»Ich bleibe besser beim Wagen«, verkündete Marcello.
Kate konnte schlecht sagen, dass das keine vernünftige Idee sei.
Vielleicht wurde er von Monstern angegriffen, und sie musste ihn retten. Was ihn womöglich beeindruckte. Oder er warf ihr vor, ihn überhaupt erst in die Lage gebracht zu haben, angegriffen werden zu können. Männer waren immer so irrational.
Marcello blieb im Wagen sitzen und stellte den Außenspiegel so ein, dass er möglichst viel abdeckte.
Die beiden Frauen stiegen aus. Cabiria blieb einen Moment auf
dem Pflaster stehen und lauschte. Undeutlich waren Schreie zu hören. Sie schüttelte den Kopf und ging weiter.
Die Eingangstür der ehemaligen Kirche war mit Brettern zugenagelt, aber eine kleine Seitentür führte zu einer Kellertreppe.
»Ist alles unterirdisch«, sagte sie. »Passen Sie auf Ihre Schuhe auf.«
Am Fuß der Treppe lag ein langer, breiter Korridor. Das einzige Licht
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