Die Vampire
geschrieben«, sagte Kent. »Ihm zufolge versiegt die Schaffenskraft, wenn man zum Vampir wird.«
»In meinem Falle stimmt das nicht«, sagte Penderel. »Ich war ein mittelmäßiger Verseschmied, als ich noch am Leben war.«
»Mein Genie ist unsterblich - so ein Schmalz«, sagte Hancock aggressiv. »Ich bin AB negativ, wissen Sie. Alles andere kann ich nicht trinken.«
»Nichts für ungut,« sagte Kent. »aber ich bin noch nicht vielen wie Ihnen begegnet. Vampiren.«
»Oscar Wilde hat die Ballade vom Zuchthaus zu Reading erst nach seiner Verwandlung geschrieben«, sagte Mrs. Addams. »Sie müssen zugeben, dass sie gut ist.«
Penelopes Augen verengten sich. Sie unterhielt sich nicht gern über Wilde. Selbst doppelt tot war er peinlich.
»Dalí ist ein Vampir«, sagte Nico.
»Der kann mir gestohlen bleiben«, ächzte Hancock. »Dauernd diese Melonen.«
»Aber Picasso ist warmblütig«, warf Kent ein. »Und T. S. Eliot, Thomas Mann, Schostakowitsch, Joe DiMaggio, Wittgenstein, William Faulkner. Nicht einer von ihnen hat sich verwandelt. Und doch sind sie die Besten des Jahrhunderts.«
»Ihre Karrieren sind zu Ende oder werden enden«, sagte Mrs. Addams. »Sich verwandeln heißt sich ändern, heißt eine innere Dunkelheit zu umarmen. Das muss die Kreativität doch befeuern. Seit ich zum Vampir wurde, kann ich viel besser meinen eigenen Ausdruck finden.«
Sie war, was man früher einmal ein »Schlossgespenst« genannt hatte. Da sie dem Grab nun wieder entstiegen war, wollte sie auch unbedingt so aussehen. Auf ihrem pechschwarzen Haar beinahe nicht zu sehen war ein schwarzer Spitzenschleier, der mit schwarzen Perlen beschwert war. Ihr tief ausgeschnittenes, bodenlanges Kleid hatte Schleppen wie Krakenarme. Ihrer Blässe hatte sie künstlich nachgeholfen, mit strategisch angebrachten violetten Schattentupfern.
Kent, der neben Muskeln auch noch Verstand besaß, beschäftigte sich mit einer persönlichen Fragestellung.
»Vielleicht gibt es ja bessere Wege, unsterblich zu werden. Durch seine Taten vielleicht? Oder indem man Kinder bekommt?«
Penelope war nahe davor, Toms Arm abzureißen.
»Ich nehme die Unsterblichkeit, wie ich sie kriegen kann, alter Knabe.« Penderel winkte der Kellnerin, damit sie ihre Vene über seinem Bierkrug öffnete. »Manchmal dauert sie gar nicht so lang.«
Kent zuckte die Herkulesschultern, dass sein leichter blauer Anzug
sich dehnte. Er hätte konservativ ausgesehen, wäre da nicht die rot-gelbe Spirale auf seiner handbemalten Krawatte gewesen.
»Was ist mit den Existenzialisten?«, fragte Mrs. Addams. »Ihr Ideal des modernen Menschen ist doch gewiss der Vampir? Ein Wesen, das außerhalb von Heuchelei und Konvention steht? Eine einsame Kreatur in der Nacht? Mit Lüsten und Trieben, die nie von der Geschichte gezähmt wurden?«
»Die Geschichte ist das Einzige, was manche von uns haben«, sagte der Karpater, Oblensky.
Tom hatte Camus und Sartre gelesen und wusste nicht, was die Aufregung sollte. Dünne Bändchen von noch dünnerer Substanz.
»Die Geschichte könnte jeden Moment enden.« Nico malte mit den Fingern eine Explosion in die Luft. »Ka-bumm!«
»Ach ja«, sagte Penderel, »die tolle Bombe.«
Eine Tanzkapelle begann zu spielen. Penelope machte dem Philosophieren ein Ende, indem sie alle auf die Tanzfläche drängte. Sie beanspruchte Tom für sich selbst und verbandelte Kent mit Mrs. Addams, Penderel mit Nico, Hancock mit Irena und Mr. Addams mit dem verblüffend leichtfüßigen und enthusiastischen Buckeligen. Graf Oblensky fischte sich eine warmblütige Nebendarstellerin aus der Menge und nagte widerlich an ihrer Kehle herum.
Penelope, die noch gelernt hatte, dass man dem Tanzpartner nicht in die Augen sah, hielt den Rücken kerzengerade und reckte vorteilhaft den schönen Hals.
Die Toten machten den Tanzdielen das Leben ganz schön schwer. Sie klammerten sich an die Moden ihrer jeweiligen Lebenszeit und wollten gleichzeitig nicht als altmodisch wahrgenommen werden. Penelope hatte tanzen gelernt, als der Walzer maßgebend gewesen war, die Ältesten hingegen beherrschten die Gavotten des Mittelalters oder wilde russische Volkstänze. Vampire
der Gegenwart brachten Elemente des Charleston oder Jitterbug mit ein.
Die Kapelle spielte neutrale Tanzmusik. Ein dürrer Sänger seufzte »Volare«, als ob es ihm ernst damit wäre. Die Tanzfläche bot allen Platz für ihre Verrenkungen. Zum Glück war es dunkel.
Penelope war in nachdenklicher Stimmung. Tom wusste, dass das
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