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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Gefahr verhieß.
    Ihre Hand kroch seinen Rücken hinauf, die Finger legten sich um seinen Nacken. Sie drehte seinen Kopf und sah ihn an. Ihre Fangzähne waren ausgefahren.
    »Schöner Tom mit dem leeren Gesicht. Ich frage mich, was dahinter vorgeht. Aber ich frage mich auch, was hier drin vorgeht.«
    Mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand tippte sie sich an den Kopf und ans Herz.
    »Fühle ich wirklich etwas?«
    Tom war unbehaglich zumute. Wollte sie ihn ihrer Menschlichkeit versichern oder betonen, wie weit sie über den Lebenden stand?
    »Oder sind das nur Imitationen von Gefühlen? Tierische Instinkte, die für einen komplizierten Verstand gehübscht worden sind? Ich war auf all das in keiner Weise vorbereitet, Tom. Ich sollte Ehefrau und Mutter werden. Eine Hausherrin, eine angesehene Dame.«
    Ihre Zunge glitt über ihre Fänge.
    »Bin ich denn überhaupt noch eine Frau?«
    Tom hätte lieber eine der Nonsensfragen von Max Brock beantwortet.
    »Ich bin tot, Tom«, sagte sie kläglich. »Halt mich.«
    »Ich halte dich, Penny.«
    »Ja.«
    Sie tanzten weiter, immer im Takt.
    Tom wusste, dass er seine Schritte behutsam setzen musste. Er
stand ihr nahe genug, um zu bemerken, wie wenig stabil Penelope in Wirklichkeit war. Sie konnte eine Zierde sein, immer amüsant und angenehm, und sich vollständig hinter ihrem schönen Äußeren verbergen. Aber manchmal zeigten sich Risse. Und hinter den Rissen ein Abgrund.
    Prinzessin Asa war mit ein Grund. Für Viktorianer war es durchaus erniedrigend, von Tyrannen des Mittelalters wie Vasallen behandelt zu werden. Aber die Prinzessin war nur das jüngste Ärgernis. Was Penelope quälte, reichte tiefer, reichte zurück bis in die Zeit von Oscar Wilde, in die Zeit der Schrecken.
    Letztlich ging es um Dracula. Und vielleicht um ihren früheren Verlobten, diesen Charles. Tom wusste, dass ihr beide Männer nah waren und doch fern. War sie ihretwegen nach Rom gekommen?
    »Tut mir leid, Tom.« Sie umarmte ihn enger. »Es ist unfair von mir, mich so gehen zu lassen.«
    Er entspannte sich. Sie dachte einmal an ihn, nicht an sich. Sehr gut.
    »Das jetzt tut mir auch leid, aber …«
    Sie biss ihn in den Hals, tiefer als sonst, öffnete die alten Bisswunden. Der Schmerz war ein Schock. Ihre Finger gruben sich in seine Rippen. Sie saugte wild.
    Sie tanzten noch immer. Auch andere tranken. Es fiel niemandem auf.
    Zum ersten Mal verspürte Tom Panik.
    Die Toten waren gefährlich. Richtig gefährlich.
    Sie setzte ihn sanft auf einen Stuhl, ließ ihn aus den Händen gleiten. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht einmal den Kopf heben. Während er in Bewusstlosigkeit versank, sah er, wie Penelope sich die Lippen mit einer Serviette abtupfte.
    Sie sah aus, als wäre sie zu einem Entschluss gekommen.

12
Die toten Seelen
    H eute Abend befanden sich mehr Menschen auf der Piazza di Trevi. Es war noch vor Mitternacht. Pärchen - andere Pärchen, berichtigte Kate sich - sahen sich den Brunnen an, warfen Münzen hinein, wünschten sich etwas. Ein Polizist stand Wache.
    »Das kleine Mädchen stand dort.« Kate zeigte über die Piazza. »Wo diese Frau gerade ist.«
    Marcello versuchte ihre Hand hinunterzuschieben, kam aber gegen ihre Vampirkraft nicht an.
    »Bitte vorsichtig sein, Signorina Reed …«
    »Kate«, sagte sie.
    »Kate. Es ist nicht gut, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zumal bei solchen Kreaturen.«
    Die Frau saß allein am Beckenrand, zog an einer Zigarette und ließ die Beine baumeln wie ein Kind. Ihr winziges Gesicht erinnerte Kate an das kleine Mädchen. Die blonden Haare waren kurzgeschnitten. Sie trug eine verlotterte Strickjacke mit Pelzbesatz, einen Pulli mit waagerechten Streifen und einen engen, kurzen Rock.
    Durch Gestik und Auslassung versuchte Marcello wortlos anzudeuten, dass es sich um eine Prostituierte handelte.
    »Marcello, seien Sie nicht albern. Denken Sie, ich erkenne eine Nutte nicht, wenn ich eine sehe?«
    Im Großen und Ganzen kam Kate gut mit Prostituierten aus. Sie hatte Dutzende interviewt damals, im Whitechapel des Jack the Ripper. Manchmal, wenn Tiere nicht reichten, hatte sie ihr Blut gekauft. Aber daran wollte sie jetzt nicht denken.
    Sie konzentrierte sich auf Marcello. Er war verärgert.

    Die kleine Hure bemerkte sie. Sie drückte ihre Zigarette aus und kam pflichtgetreu herüberstolziert, setzte ein berechnendes Lächeln auf, das nicht zu den großen Puppenaugen passte. Sie war warmblütig, mit ausgedehntem Narbengewebe am Ausschnitt. Ihre Blässe legte

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