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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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kam von einer Öllampe irgendwo. Wasser stand einen Fingerbreit hoch auf einem flauschigen Teppich. Grobe Bretter auf Mauersteinen bildeten einen Weg, von dem angelegte Bretter in Räume führten. An den Stürzen waren Decken festgenagelt, deren Enden im Wasser hingen.
    In einem der Räume wurde ein Handel vollzogen.
    Eine verkratzte Grammophonplatte wurde langsamer. Ein Walzer kam schleifend zum Stehen.
    Cabiria balancierte wie eine Seiltänzerin die Bretter entlang, mit ausgestreckten Armen. Kate folgte ihr, etwas unsicher auf ihren Absätzen.
    Aus dem einen Raum war Grollen und Kauen zu hören. Hinter der dünnen Decke brannte ein Feuer, das ein feines Kreuzmuster über das Gewebe legte. Etwas spritzte und klatschte gegen die Decke, rann herunter. Rote Schlieren schwammen im Wasser.
    Cabiria zog Kate weiter, an dem Raum vorbei.
    »Die Signora wohnt hier«, sagte sie.
    In dieser Türöffnung hing tatsächlich eine Tür. Sie war hellblau, mit goldenen Halbmonden und silbernen Sternen darauf. Cabiria klopfte an, und in der Mitte eines aufgemalten Auges öffnete sich ein Loch.
    »Zur Wahrsagerin«, erklärte Cabiria.
    Die Tür ging auf. Die Frauen durften eintreten.

    Der Diener der Wahrsagerin war ein morto vivento, der erste, den Kate aus der Nähe sah. An die Wangenknochen war ein Maulkorb genagelt, der den beständig mahlenden Unterkiefer verdeckte. Gesichtsfleisch blätterte ab. Die starren Augen deuteten nicht auf intellektuelle Fähigkeiten hin. Kate begriff, dass es sich um eine Vampirbrut handelte, die dazu neigte, das Blut aus dem Fleisch herauszukauen, statt es aus der Vene zu trinken. Die meisten Menschen betrachteten sie als Zombies. Jemanden als wiederbelebten Automaten einzustufen, von dessen einstiger Persönlichkeit nichts geblieben war, diente vermutlich als Ausrede, um ihn nicht wie einen Menschen behandeln zu müssen. Während dieser kurzen Begegnung sah Kate sich jedoch nicht in der Lage, diese Annahme zu bestreiten.
    Der Diener war schäbig und vornehm zugleich gekleidet. Von seinem guten Anzug war nicht mehr viel übrig. Er trug weder Schuhe noch Socken. Seine Füße waren schwarz und zerfetzt.
    Er versuchte nicht, Kate oder Cabiria zu fressen, sondern führte sie in ein Labyrinth. Die Wohnung der Wahrsagerin war groß und voller Gegenstände, die sie vielleicht als Bezahlung akzeptiert hatte. Aufgestapelte Möbelstücke, gebündelte Bücher, ein Haufen kaputter Fahrräder, Einmachgläser mit Proben, die in Lake trieben, mehrere Bettgestelle, eine verblüffende Menge Laborausrüstung, leere Goldrahmen, ein Ständer mit Gewehren. Abseits, hinter verhängten Türöffnungen, verrichteten morti viventi Arbeiten, deren Sinn und Zweck Kate verborgen blieb.
    Santona saß im Schneidersitz auf einer mit einem Baldachin versehenen Sänfte. Ihr tonnenförmiger Leib war in bunte Tücher gewickelt, Hals und Handgelenke waren schwer mit Schmuck behängt. Sie war alt, aber ihr Gesicht wies keine Falten auf, und ihre geölten Ringellocken waren jugendlich schwarz.
    Zwei morti viventi bedienten die Wahrsagerin.
    »Sie waren ’ndrangheta«, erklärte Santona. »Aus Kalabrien.
Kriminelle. Sie wollten nach Norden, brachten aber diese Seuche mit. Die meisten werden nicht alt, aber diese hier habe ich für meine Zwecke abgerichtet.«
    »Ich bin Katharine Reed. Aus Irland.«
    Sie streckte die Hand aus, aber Santona schüttelte sie nicht.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Sie sind wegen eines Sterbenden in der Stadt.«
    Cabiria bekreuzigte sich.
    »Mag sein«, sagte Kate. »Im Moment suche ich jedoch nach einem kleinen Mädchen, das ich auf der Piazza di Trevi gesehen habe. Es wurde Zeuge eines Verbrechens.«
    »Der Mann in der roten Kapuze. Er ist wie diese ’ndrangheta. Nur ein Diener, ein Werkzeug. Dort war kein kleines Mädchen.«
    »Ich habe mir die Kleine nicht eingebildet.«
    »Sie haben sie nicht gesehen. Nur ein Spiegelbild.«
    Die Wahrsagerin musste ihre Gedanken abgeschöpft haben. Manche warmblütigen weisen Frauen besaßen ein wenig von dieser Vampirgabe.
    »Spiegelbilder können in die Irre führen.«
    Das hatte Kate auch schon gedacht. Irgendetwas an dieser Szene kam ihr immer noch merkwürdig vor. Hatte sie das Gesehene missverstanden?
    »War es ein Zwerg?«, fragte sie.
    Das Wellenspiel des Wassers hatte vielleicht Falten geglättet und aus einem alten Gesicht ein Kindergesicht gemacht.
    Santona lachte und schüttelte den Kopf. Sie hielt ihr die offene Hand hin.
    Kate zog einen Fünfhundert-Lire-Schein

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