Die Vampire
hervor, der verschwand. Die Wahrsagerin hatte ihn sich gegriffen.
»Nicht alles kann enthüllt werden.«
Genau so etwas erwartete sie von einer anständigen Betrügerin. Sinnlose Irreführung und verschwindendes Geld.
»Sie sollten nicht nach ihr suchen. Sie wird zu Ihnen kommen.«
»Sie sucht nach mir?«
»Ihr beide habt etwas gemeinsam.«
Kate überlief eine Gänsehaut.
»Sie haben die Mutter gestört. Das ist wichtig.«
»Die Mutter des Mädchens?«
Santona schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, Roms. Mater lachrymarum. Sie ist schon immer hier gewesen, unter uns und um uns herum.«
»Die Mutter der Tränen?« Kate konnte ihr Latein noch.
Die ’ndrangheta wurden unruhig. Rot orange Rinnsale troffen durch ihre Maulkörbe auf völlig befleckte Revers.
»Überall sind Tränen«, sagte die Wahrsagerin. »Aus den Steinen der Stadt quellen Tränen hervor.«
»Was soll das heißen?«
»Genug jetzt. Das ist alles. Sie wurden gewarnt.«
Zum Abschluss des Gesprächs war noch einmal Geld erforderlich. Kate bezahlte. Sie fragte sich, ob Cabiria eine Beteiligung erhielt.
Santona schloss die Augen und sank in die Kissen zurück. Ein ’ndrangheta massierte ihr die Stirn. Seine Finger schälten sich.
Cabiria zupfte Kate am Ärmel. Es war erforderlich, dass sie jetzt gingen.
Ein Grüppchen der wandelnden Toten hatte sich um den Ferrari versammelt. Marcello hielt sie mit Blättern des Osservatorio Romano auf Abstand, die er zu Fackeln rollte und anzündete. Wenn die eine abgebrannt war, blies er die Asche vom Auto und zündete die nächste an.
Morti viventi waren aus ihren Löchern gestolpert. Diese hier standen nicht unter Santonas Bann und trugen auch keine Maulkörbe.
Manche hatten rote Münder, andere waren hohlbrüstig und ausgehungert. Viele wirkten schwach, als ob sie mit einem Tritt auseinanderfielen, aber manche waren gediehen, vielleicht durch Schläue, und hatten sich die Kraft ihrer Glieder und Kiefer bewahrt. Diese waren gefährlich.
Marcello war erleichtert, Kate zu sehen.
»Gestern Nacht haben sie sich einen kleinen Jungen geholt«, sagte Cabiria. »Einen Waisenjungen. Er hat erzählt, dass sein Vater Amerikaner ist. Er war flink, aber er wurde müde. Sie haben ihm den Bauch leergefressen.«
Kate fragte sich, warum Cabiria ihr das erzählte.
»Er ist heute Nacht wieder auferstanden. Da ist er. Dondi.«
Unter den morti viventi war ein Junge in weiten kurzen Hosen, mit einer zu großen amerikanischen Soldatenmütze. Als hätte er seinen Namen gehört, drehte er sich um. Olivgrüne Augen glitzerten, aber nur vor Feuchtigkeit. Das T-Shirt war über seinem ausgeweideten Bauch zerrissen, und seine Kiefer mahlten.
»Als Erstes versuchen sie sich selbst zu fressen«, sagte Cabiria.
Kate wurde übel.
Als sie durch die lockere Ansammlung ging, wichen die morti viventi vor ihr zurück. Das, wonach sie sich sehnten, floss nicht in Kates Adern.
Etwas, das einmal eine Frau gewesen war, schnupperte an Cabiria, die aufkreischte. Kate packte die morta viventa beim Kinn, das mit einem Schnappen abriss. Eine lange Hundezunge baumelte hervor. Was hatte sie da angerichtet? Verlegen gab Kate ihr den Kieferknochen zurück.
Für diese Wiedergekehrten konnte man nichts mehr tun.
Waren sie wirklich tote Seelen? Hatten sie keinen Funken Verstand und Menschlichkeit mehr in ihren wiederbelebten Kadavern? Oder musste man Mitleid empfinden für den letzten vielleicht noch vorhandenen Rest?
Am Ende erging es vielleicht allen Untoten so.
War sie noch dieselbe Persönlichkeit wie zu ihren Lebzeiten? Oder hatte sie sich das nur eingeredet? War Katharine Reed zum Himmel oder sonst wohin aufgeflogen und hatte eine leere Hülle zurückgelassen, die zu der Selbsttäuschung imstande war, weiterhin als diese Frau zu leben?
Nein.
Sie sah in die leeren Engelsaugen des gerade wieder auferstandenen Dondi und wusste, dass sie anders war als er. Sie fühlte noch, kämpfte noch. Wenn es eine Ähnlichkeit gab, dann eine tragischere. Die morti viventi besaßen vielleicht ein vages Bewusstsein ihrer Situation. Kate bekam weiche Knie vor sinnloser Liebe, vor Mitgefühl für etwas, das nur Hunger und Schmerz spürte.
»Man kann sie leicht töten«, sagte Marcello. »Einfach den Schädel zertrümmern. Wenn ihre Gehirne kaputt sind, hören sie auf, sich zu bewegen.«
»Das ist nicht dasselbe, wie tot zu sein.«
Er zuckte die Schultern und zündete den Sportteil an.
»Bitte«, sagte Cabiria. »Er war mein Freund. Als ich
Weitere Kostenlose Bücher