Die Vampire
Florence’ Hand angehalten, doch hatte Bram, dessen Namen auszusprechen Wilde indessen strengstens sich verbat, ihm das Nachsehen gegeben. Penelope verfiel auf den Gedanken, dass er einer ganzen Reihe von Personen allein deshalb einen Antrag gemacht haben mochte, weil eine jede Abweisung seinem unkonventionellen Witz neue Nahrung bot.
Florence bat ihn um seine Meinung zu Clarimonde’s Coming-Out, worauf Wilde bemerkte, er sei überaus dankbar für die Existenz des Stückes, welches einem gewitzten Kritiker, wofür er sich offenbar erachtete, Ansporn sein könne, auf seinen Ruinen ein Werk von wahrhafter Genialität zu errichten.
»Aber Mr. Wilde«, sagte Kate, »das klingt ja gerade so, als stellten Sie den Kritiker über den Künstler.«
»In der Tat. Die Kritik selbst ist eine Kunst. Und ebenso wie
die künstlerische Schöpfung die Arbeit des kritischen Geistes in sich schließt, und es lässt sich schwerlich sagen, dass sie ohne ihn überhaupt existiert, so ist die Kritik schöpferisch in der höchsten Bedeutung des Wortes. Die Kritik ist in der Tat beides, sie ist schöpferisch und unabhängig.«
»Unabhängig?«, erkundigte sich Kate, obgleich sie wohl wusste, dass sie auf diese Weise einen Vortrag nachgerade herausforderte.
»Jawohl, unabhängig. Ebenso wie aus den zügellosen, sentimentalen amours der törichten Gattin eines unbedeutenden Landarztes in dem schmutzigen Dorf Yonville-l’Abbaye unweit Rouens Flaubert ein klassisches Werk zu erschaffen vermochte, ein wahres Meisterstück des Stils, so kann der echte Kritiker mit intellektuellem Zartgefühl, sofern es ihm Vergnügen bereitet, seine Begabung zur Kontemplation darauf zu richten oder zu verschwenden, aus Dingen von geringer oder gar keiner Bedeutung, wie etwa aus den diesjährigen Bildern der Royal Academy oder auch den Bildern der vergangenen Jahre, aus den Gedichten eines Mr. Lewis Morris oder den Stücken eines Mr. Henry Arthur Jones, ein Werk von makelloser Schönheit und Instinktsicherheit erschaffen. Die Glanzlosigkeit ist immer eine unwiderstehliche Versuchung zu glänzen, und die Dummheit ist die immerwährende bestia trionfans, welche die Klugheit aus der Höhle lockt.«
»Aber was halten Sie denn nun von dem Stück, Wilde?«, fragte Mr. Reed.
Wilde wedelte mit der Hand und verzog das Gesicht, ein Zusammenspiel von Gestik und Mimik, das weitaus mehr besagte als seine kleine Rede, die selbst Penelope als, auf gleichwohl außerordentlich elegante Weise, abwegig empfand. Die Aussage, so hatte Wilde dereinst verkündet, sei ein lässlicher Brauch, dem man nicht im Übermaße frönen solle.
»Lord Ruthven lässt sich empfehlen«, sagte Art.
Der Dichter war beinahe geschmeichelt, dass ihm solche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Als er erneut zu einer hochamüsanten, wenngleich unnützen Bemerkung anhob, beugte Art sich zu ihm hin und sagte mit gedämpfter Stimme, so dass nur Penelope und Wilde ihn hören konnten: »Und er würde es überaus begrüßen, wenn Sie beim Besuch eines gewissen Hauses in der Cleveland Street äußerste Vorsicht walten ließen.«
Wilde bedachte Art mit einem bösartigen, zutiefst ablehnenden Blick. Er geleitete Florence davon, um sich mit Frank Harris von der Fortnightly Review zu besprechen. Seit seiner Verwandlung trug Mr. Harris Bockshörner, die Florence Entsetzen einjagten.
Kate trippelte dem Dichter hinterdrein in der Hoffnung, sich dem Herausgeber so weit nähern zu können, dass dieser sie vielleicht mit der Abfassung eines Artikels über das Frauenwahlrecht oder derlei Torheiten beauftragte. Doch selbst ein begeisterter libertin, der dem Ruf von Mr. Morris anhing, hätte Kate vermutlich für einen allzu kümmerlichen Fisch gehalten, als dass zu angeln er sich lohnte, und ihn in die See zurückgeworfen.
»Was, um alles in der Welt, haben Sie bloß zu Wilde gesagt, ihn derart zu erzürnen?«, fragte Mr. Reed. Er witterte eine Geschichte. Und tatsächlich begannen seine Nüstern ein jedes Mal zu zucken, wenn er sich auf der Fährte einer Quisquilie wähnte, die womöglich das Zeug zu einer Nachricht hatte.
»Nichts als eine Grille Ruthvens«, erklärte Art.
Der Neuigkeitskrämer starrte Art unverwandt an, seine Augen waren wie Nagelbohrer. Viele Vampire besaßen solch einen durchdringenden Blick. Bei geselligen Zusammenkünften ließ sich oftmals beobachten, wie sie, gleich einem Paar verkeilter Elche, alles daransetzten, einander durch Anstarren aus der Fassung zu bringen. Mr. Reed verlor den
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