Die Vampire
etwas Wahres sein mochte. Ihre Gedanken, so musste sie sich eingestehen, waren gegenwärtig gewiss mit Leichtigkeit zu entziffern. Sie durfte keinesfalls die Stirne runzeln, wenn sie nicht enden wollte wie die arme, törichte Kate, deren Gesicht vom vielen Lachen und Weinen schon jetzt, nach nur zweiundzwanzig Jahren, gänzlich aus der Form geraten war.
»Selbst wenn ich Sie ganz für mich allein habe, steht Charles doch immer zwischen uns. Zum Teufel mit ihm.«
Charles, der an der Premierenfeier hatte teilnehmen sollen, sandte seinen Diener mit einer Nachricht, worin er sich entschuldigte und Penelope für den heutigen Abend Florence’ Obhut überließ. Er war im Auftrag der Regierung unterwegs, womit sich
näher zu befassen man nicht von ihr erwartete. Es war in höchstem Maße ärgerlich. Sofern sie ihre Überzeugungskraft nicht unterschätzte, würde nach der Trauung einiges anders werden im Hause Beauregard.
Ihr Schnürleib war so eng, dass sie kaum Atem schöpfen konnte, und ihre décolletage so tief, dass die Haut zwischen Kinn und Busen ganz taub war vor Kälte. Und was sollte sie mit ihrem Fächer anderes anfangen, als in einem fort damit zu wedeln? Sie konnte es schließlich keinesfalls riskieren, ihn auf einen Stuhl zu legen, damit sich am Ende womöglich ein angetrunkener Trottel darauf niederließ.
Eigentlich war es an Art gewesen, Florence zu begleiten, doch hatte sie ihn ebenso versetzt, wie Penelope von ihrem Verlobten im Stich gelassen worden war. Demzufolge fühlte er sich offenbar verpflichtet, wie ein feuriger Korydon umherzubummeln. Zweimal schon waren sie von Bekannten angesprochen worden, die sie zunächst beglückwünschten und sodann mit den peinlichen Worten »Ist das der Glückliche?« auf Art deuteten. Lord Godalming trug es mit bemerkenswerter Fassung.
»Ich wollte nicht schlecht von Charles reden, Penny. Bitte verzeihen Sie.«
Seit der Bekanntgabe hatte Art sich überaus fürsorglich gezeigt. Einst war er selbst verlobt gewesen, mit einem Mädchen, dessen Penelope sich noch recht gut entsinnen konnte, doch hatte die Sache ein fürchterliches Ende gefunden. Art war mühelos zu verstehen, insbesondere im Vergleich zu Charles. Ihr Verlobter hielt ein jedes Mal inne, ehe er sie mit Namen anredete. Zwar hatte er sie niemals Pamela genannt, doch harrten sie beide voller Grauen jenes unheilvollen, unausweichlichen Moments. Zeit ihres Lebens hatte sie sich in den Fußstapfen ihrer brillanten Cousine dahingeschleppt, war innerlich erstarrt, wann immer jemand wortlos sie mit Pam verglich, in dem Bewusstsein, dass sie auf ewig als die
Geringere der beiden Miss Churchwards gelten werde. Doch im Gegensatz zu Pamela war sie am Leben. Inzwischen war sie älter als ihre Cousine damals, als sie von ihnen gegangen war.
»Sie dürfen gewiss sein, dass jegliche Angelegenheit, deretwegen Charles sich entschuldigen lässt, von allergrößter Wichtigkeit ist. Sein Name mag nicht in den Parlamentslisten auftauchen, aber in Whitehall ist er wohlbekannt, wenn auch nur den Besten unter den Besten, und hoch geschätzt.«
»Sie bekleiden doch sicher eine ebenso wichtige Stellung, Art?«
Art zuckte mit den Achseln, und seine Locken bebten. »Ich bin nichts weiter als ein Botenjunge von Stand und Lebensart.«
»Aber der Premierminister …«
»Ich bin diesen Monat Ruthvens Schoßkind, aber das will nicht allzu viel besagen.«
Florence kehrte mit einem fachmännischen Urteil über das Stück zurück. Es trug den Titel Clarimonde’s Coming-Out und stammte von Henry A. Jones, dem berühmten Verfasser von Der Krösus und Halunken und Heilige.
»Mr. Sala meint: ›Die Wolken tun sich auf, ein Lichtblick ist am trüben Himmel des Theaters, und es will nachgerade den Anschein haben, als hätten die Belanglosigkeiten allemal ein Ende.‹»
Bei dem Stück handelte es sich um eine jener »derben Komödien«, für die das Criterion berühmt war. Die neugeborene Hauptfigur war eine Dame mit Vergangenheit, deren scheinbarer Vater, bei dem es sich in Wirklichkeit um ihren Gatten - einen zynischen Kronanwalt - handelte, dazu neigte, seine Sarkasmen unmittelbar an den ersten Rang zu richten, was dem Schauspieler-Prinzipal Charles Wyndham Gelegenheit verschaffte, sein aphoristisches Talent unter Beweis zu stellen. Wiederholte Wechsel der Kostüme und Kulissen führten das Personal von London
auf das Land hinaus, nach Italien, in ein Geisterhaus und wieder zurück. Als der Vorhang fiel, waren die Liebenden vereint, die
Weitere Kostenlose Bücher