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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Philister um ihr Geld gebracht, die Güter rechtmäßig verteilt und alle Geheimnisse ohne Schaden enthüllt. Kaum eine Stunde war seit dem letzten Akt vergangen, und Penelope konnte zwar ein jedes Gewand der Heroine bis in die kleinste Einzelheit beschreiben, war jedoch beim besten Willen nicht imstande, sich auf den Namen der Schauspielerin zu besinnen.
    »Penny, Liebes«, ertönte ein kratziges Stimmchen. »Florence, Lord Godalming. Gott grüße Sie.«
    Es war Kate Reed. Sie trug ein eng anliegendes, schmutzfarbenes Kleid und hatte einen dickwangigen Neugeborenen im Schlepptau, den Penelope sogleich als Kates Onkel Diarmid erkannte. In seiner Eigenschaft als altgedienter Redakteur der Central News Agency suchte er die sogenannte Laufbahn des armen Mädchens als Skribentin für wohlfeile Kolportageblätter zu befördern. Er genoss einen Ruf als der schmierigste aller Schmieranten der schmierakulösen Grub Street. Jedermann außer Penelope fand ihn überaus amüsant, und so wurde er zumeist geduldet.
    Art nahm sich die kostbare Zeit, einen Kuss auf Kates knochige Hand zu hauchen, und sie wurde rot wie eine Runkelrübe. Diarmid Reed begrüßte Florence mit bierseligem Rülpsen und erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, eine im Falle Mrs. Stokers äußerst unratsame Taktik, da sie durchaus imstande war, ihre diversen Gebrechen in extenso zu schildern. Gnädigerweise schlug sie einen anderen Kurs ein und fragte Mr. Reed, weshalb er ihre soirées noires in jüngster Zeit nicht mit seiner Anwesenheit beehrt habe.
    »Wir vermissen Sie sehr bei uns in Cheyne Walk, Mr. Reed. Sie wissen immer wieder die unglaublichsten Geschichten über die Höhen und Tiefen des Lebens zu erzählen.«
    »Bedauerlicherweise habe ich unlängst insbesondere die Tiefen
ausloten müssen, Mrs. Stoker. Die Silver-Knife-Morde in Whitechapel.«
    »Grässliche Geschichte«, entfuhr es Art.
    »Das will ich meinen. Aber verteufelt gut für das Geschäft. Der Star, die Gazette und all die anderen Revolverblätter haben ihre Spürhunde auf die Sache angesetzt. Die Agentur kann ihnen gar nicht genug Futter bieten. Sie fressen fast alles.«
    Penelope hegte wenig Interesse für derlei Gerede über Mord und Niedertracht. Sie machte sich nichts aus Zeitungen und beschränkte ihre Lektüre auf erbauliche Bücher.
    »Miss Churchward«, wandte sich Mr. Reed an sie, »wenn mich nicht alles täuscht, ist ein Glückwunsch am Platze.«
    Sie lächelte, unentwegt darauf bedacht, dass ihr Gesicht keine Falten warf.
    »Wo ist Charles?«, fragte Kate in ihrer gewohnt tölpelhaften Art. Manche Mädchen sollte man regelmäßig schlagen, dachte Penelope, ausklopfen wie Teppiche.
    »Charles hat uns versetzt«, sagte Art. »Höchst unklug, wie ich finde.«
    Penelope brannte innerlich und hoffte sehnlichst, dass man es ihr nicht ansah.
    »Charles Beauregard, hä?«, sagte Mr. Reed. »Der Helfer in der Not. Ich könnte schwören, dass ich den Burschen gestern Abend erst in Whitechapel gesehen habe. In Gesellschaft einiger Beamter, die in Sachen Silver Knife ermitteln.«
    »Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich«, entgegnete Penelope. Sie war nie in Whitechapel gewesen, einem Bezirk, wo nicht selten Menschen ermordet wurden. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Charles in solch eine Gegend führen könnte.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Art. »Der Diogenes-Club verfolgt sonderbare Interessen in allerlei sonderbaren Gegenden.«

    Penelope wollte, Art hätte besagte Institution unerwähnt gelassen. Mr. Reed spitzte die Ohren und war eben im Begriff, Art mit neugierigen Fragen zu löchern, als ein weiterer Neuankömmling Penelope aus ihrer misslichen Lage befreite.
    »Sehen Sie nur«, quiekte Florence entzückt, »wer dort kommt, um uns wieder einmal mit seiner Unverbesserlichkeit zu geißeln. Oscar!«
    Ein großer, augenscheinlich wohlgenährter Neugeborener mit wallender Mähne und grüner Nelke am Revers kam zu ihnen herübergeschlendert, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, die den Latz seiner gestreiften Hosen beulten.
    »’n Abend, Wilde«, sagte Art.
    Der Dichter erwiderte den Gruß mit einem knappen, verächtlichen »Godalming« und machte Florence dann nachgerade ausschweifend den Hof, überschüttete sie mit solchen Mengen seines Charmes, dass ein wenig davon naturgemäß auf Penelope und nicht zuletzt auch Kate hinüberschwappte. Dem Vernehmen nach hatte Mr. Oscar Wilde vor Jahren, als sie noch Miss Balcombe aus Dublin gewesen war, um

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