Die Vampire
übernehmen.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass Charles je getanzt hatte. Aber sie hatte ihn fechten gesehen. Er war leichtfüßig und fantasievoll gewesen. Er hätte einen erstklassigen Tänzer abgegeben. Vielleicht hatte er ja nur nie mit ihr getanzt.
Sie verpasste einen Schritt. Verdammt. Ständig ließ sie sich von Gespenstern das Leben schwermachen. Es war absurd. Ein Vampir sollte ein Gespenst doch übertrumpfen.
Zwischen den unzähligen hypnotisch starren Blicken der Ältesten entdeckte sie freundliche blaue Augen, in denen Wärme und Weisheit stand. Merrin. Er sah ihr zu. Mitfühlend. Dazu hatte er kein Recht. Sie war ein Monstrum. Sie brauchte kein Mitleid.
Mit der Daumenkralle schlitzte sie Marcellos Hals auf. Sie reckte sich, um den Strahl mit dem Mund aufzufangen, und saugte das Blut in sich hinein, spürte das Auflodern hinter ihren Augen. Der elektrisierende Geschmack löschte ihre Gedanken aus, ihre Sorgen.
Marcello tanzte nicht mehr. Er krampfte in ihren Armen, aus seinen beanspruchten Venen strömte zu viel Blut.
Diskrete Lakaien betraten die Tanzfläche und nahmen ihr Marcello ab. Einer klatschte ein großes Heftpflaster über die Wunde und sagte etwas auf Italienisch, über Vimto. Sie nahmen ihn mit, wie sie einem unartigen Kind ein zerbrochenes Spielzeug weggenommen hätten. Sorgfältig gaben sie darauf Acht, dass sie kein Missfallen zeigten, waren aber dennoch deutlich verärgert über Kates Rücksichtslosigkeit.
Einer der Diener wies auf sein Kinn. Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er ihr sagen wollte. Dann nahm sie ihr Taschentuch und wischte einen hartnäckigen Flecken Blut weg.
Marcello wurde zu einem Alkoven geführt. Als der Vorhang beiseiteglitt, erhaschte sie einen Blick auf eine Reihe Betten und Ständer mit Beuteln für künstliche Ernährung. Krankenschwestern waren vor Ort. Sie war nicht der einzige Vampir, der unter dem Einfluss des Tanzes die Kontrolle über sich verlor.
Als Frau ohne Begleitung war sie plötzlich Freiwild. General Iorga, ein rundlicher Ältester, der Befehlshaber der Karpatischen Garde gewesen war, als diese alles darauf gesetzt hatte, Kate einen Kopf kürzer zu machen, versuchte sich in einer Gavotte mit ihr zu drehen. Der General verlor sie an einen Beatnik-Blutsauger mit Baskenmütze und Ziegenbart, der sie zurück in den Cha-Cha-Cha riss. Ein Amulett an einer langen Kette tanzte zwischen ihnen, schlug immer wieder gegen seinen schwarzen Pullover und ihr Dekolleté.
Dem Maynard-G.-Krebs-Verschnitt wurde sie von einer Ältesten entrissen, die das vorübergehende Verlangsamen der Musik dazu nutzte, ihr einen Zungenkuss zu geben. Als eine fremdartige Zunge in ihrer Mundhöhle nach Tropfen von Marcellos Blut forschte, begriff Kate, dass es sich um die seltsamste Kreatur aller Ältesten handelte, Casanova. Bei der Verwandlung hatte er seine Gestalt dauerhaft zu der einer Frau geformt, ein Wunder, das jedoch keinerlei Auswirkung auf seinen Charakter gehabt hatte.
Es mussten erst einige Mundteile voneinander gelöst werden, als sie ein schwer gezeichneter, aufgeschwemmter Warmblüter von dem großen Liebhaber wegzog. Sie erkannte ihn unter vielen Schichten der Zersetzung als Errol Flynn. Das einstige Idol der Matineen hatte einen Zapfhahn im Hals sitzen. Kate konnte dem Blut Robin Hoods nicht widerstehen. Es war mehr Wodka als Lebenssaft, aber reich an karibischen Gewürzen und Schießpulver.
Sie verließ Flynn und stolperte, in mehrerlei Hinsicht betrunken, durch die Menge.
Ein gewaltiger Brustkorb versperrte ihr den Weg. Sie hob den Kopf, um sich das Gesicht anzusehen, aber es war nur ein scharlachroter Fleck. Der Mann trug Strumpfhosen, unter denen sich kräftige Beinmuskeln abzeichneten.
Ein kaltes Tuch legte sich über ihren Kopf.
Wo waren Silvestri und Ginko? Wo war die Karpatische Garde?
Furcht erfasste sie.
Ihr Blick wurde klarer. Sie hatte sich geirrt. Das war nicht der scharlachrote Henker. Ein bebrilltes, hübsches, freundliches Gesicht, wie aus massiven Blöcken gebaut, sah auf sie hinab. Es war dieser Schauspieler, Kent. Sie hatte Fotos von ihm als Herkules gesehen.
Er war nicht einmal rot gekleidet. Seine Strumpfhosen waren blau.
»Alles in Ordnung, Miss?«, fragte er.
Sie winkte ab, versuchte einen nüchternen Eindruck zu machen. Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte, aber ihre nochmalige Versicherung überzeugte ihn.
Hinter dem muskulösen Amerikaner war noch jemand, eine sehr kleine Frau oder ein
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