Die Vampire
dreihundert Jahren hatte Melissa d’Aques eine Zusammenkunft weiblicher Ältester im Schwarzwald einberufen, aus Anlass der Besprechung irgendeines protokollarischen Aspektes, den niemand verstand. Allein Geneviève hatte begriffen, dass ihre Fanggroßmutter sich einfach nur nach neuen Spielgefährtinnen sehnte. Sie hatten den Monat damit verbracht, sich zu verkleiden und in den Wäldern Jäger zu jagen. Prinzessin Asa hatte Geneviève damals nicht ausstehen können, und daran hatte sich anscheinend nichts geändert.
»Chut«, sagte Asa, was ebenso gut eine moldawische Grußformel sein konnte wie eine tödliche Beleidigung.
»Chut auch Ihnen, chérie.«
»Diese Flut von 1469 …?«
Erfindung natürlich, was sonst.
»Eine Zurechtweisung Poseidons. Il principe wird zufrieden sein.«
»Nun gut«, beschloss die Prinzessin. »Dann bombardiert die Wellen, Engländerin.«
Penelope war erleichtert. Wie Caligula konnte Asa bald den Sieg über das Meer beanspruchen.
Ein roter Ball hüpfte über die Tanzfläche. Asa sah ihn an wie einen Eindringling.
»Und bringt mir diesen Ball zum Platzen«, befahl sie.
Bei der Tyrannei ging es um die Ausübung von Willkür. Asa hatte wahrscheinlich ihren Machiavelli gelesen und versuchte sein Vorbild noch zu übertreffen. Gelegentlich einen sinnlosen Befehl zu geben, war von Vorteil, weil man dann sah, ob die Untergebenen auch brav sprangen.
Kate Reed kam aus der Menge gestolpert, dem Ball nach, wie es
aussah. Sie war nicht bei sich. Ihre Augen waren geweitet und rot. Um ihren Mund herum und auf der Brust ihres Kleides war Blut. Sie war so auf den Ball fixiert, dass sie stolperte.
Geneviève fing sie auf. Kate wehrte sich ein bisschen, dann erkannte sie sie langsam.
»Wenn das nicht Mademoiselle Perfect ist«, sagte sie.
Geneviève wusste es besser, als verletzt zu sein. Kate war längst im roten Wahn.
»Weißt du eigentlich, wie wir anderen uns neben dir fühlen?«, fuhr Kate fort. »Neben der großen Dame unter den Ältesten, der Vampirheiligen, der marmornen Abenteurerin? Außen sechzehn und weiß wie Milch und innen mit Talent und Großmut angefüllt bis zum Platzen?«
Geneviève sah zu Penelope und Asa. Niemand sagte etwas.
»Ich bin wie du, Kate«, sagte sie. »Ich bin nichts Besonderes.«
Kate lachte bitter, am Rand der Tränen.
»Es ist kein Wunder, dass du ihn bekommen hast«, sagte Kate. »Von uns hatte keine eine Chance. Du bist wie eine Statue. Neben dir sind wir alle verlotterte kleine Kinder. Wir verändern uns, kriegen Falten und sterben, aber du läufst einfach weiter und weiter und weiter, immer perfekt, immer bescheidene Siegerin. Wir anderen sind die Trümmer, die du hinterlässt.«
»Ich glaube, du hast für heute genug getrunken, Katie«, sagte Penelope.
»Ja, ich weiß. Entschuldige, Geneviève. Du hast Recht. Ich stehe heute neben mir.«
Trotz alledem, ein Eissplitter traf sein Ziel. Kate war betrunken, besaß aber noch ihr Denkvermögen. Vielleicht gaben die Drinks ihr nur die Freiheit zu sagen, was sie immer gedacht hatte. Vielleicht war Genevièves Präsenz unmöglich auszuhalten. Am Ende hatten alle, die sie kannte, gelitten.
Sie versuchte, die Liebe in ihrem Herzen zu finden, das, was sie
von Asa Vajda oder Prinz Dracula unterschied, das konstante Beben, das sie Charles gegenüber empfunden hatte und durch ihn seiner warmblütigen Welt gegenüber. Im Moment schien es nicht länger da zu sein.
»Ich habe dich verletzt.« Kate streckte die Hand nach ihrer Wange aus, berührte mit der Fingerspitze eine Träne. »Tut mir leid. Es stimmt nicht, was ich gesagt habe. Du bist immer noch lebendig.«
Kate weinte auch. Penelope hielt sie fest im Arm.
Wieder waren die drei durch Tränen vereint.
»Auf meinem Fest wird nicht geweint«, sagte Asa. »Das verfüge ich. Alles soll lächeln, alles soll fröhlich sein. Bei Strafe der Pfählung.«
»Bitte verzeiht, Prinzessin«, begann Penelope unterwürfig. »Meine Freundin wollte Euch nicht …«
Asa ließ die Spitze ihrer Peitsche zucken und schlug Penelope ins Gesicht, als ohrfeige sie eine Leibeigene.
Der Peitschenknall war wie ein Pistolenschuss.
Bond verzog das Gesicht, fuhr mit der Hand in seine Jacke. Dann entspannte er sich wieder. Das hier war Frauensache. Er konnte die Show genießen.
Kate war plötzlich ruhig. Sie setzte die schockierte Penelope, auf deren Gesicht sich ein breites rotes Mal abzeichnete, aus dem Blut trat, in einen Sessel und sah zu Asa Vajda hinauf, die bestimmt einen
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