Die Vampire
darüber hinaus, von Marcello trunken zu sein; sie befand sich am Rand des Wahnsinns. Sie hatte andere Vampire in diesem Zustand gesehen, war aber bisher nie selbst so weit gekommen.
Von innen betrachtet war es gar nicht mal schlecht.
Ihre Augen glühten bestimmt scharlachrot, noch vergrößert durch die Brille. Ihre Zähne waren Dolche, ihre Fingernägel Klauen. Sie hatte selbst etwas von einem Drachen.
Das Orchester spielte »Dracula Cha-Cha-Cha«. Die Untertanen Seiner Majestät tanzten, zogen blauen und roten Samt über einen polierten Mosaikfußboden. Schwarze Straußenfedern wippten wie Insektenfühler über kunstvollen Frisuren. Rote Edelsteine funkelten im Schein der Flammen. Weiße Gesichter schimmerten auf wie Flecken.
Sie war verzückt.
»Lass uns tanzen«, sagte sie zu Marcello, ergriff seinen Arm und betrat die Tanzfläche.
Es war leicht, sich der Musik zu überlassen. Marcello hielt vorsichtig mit ihr Schritt. Seine dunklen Gläser ließen nichts erkennen, aber sie wusste, dass sie ihn vollständig in der Gewalt hatte. Sie hatte einen Sklaven aus ihm gemacht, er war wie dieser arme Hund, den Jack Sewald 1885 behandelt hatte. Renfield.
Er machte die Fliegen tot, um die Spinnen zu fangen, er machte die Spinnen tot, um die Vögel zu fangen, er machte die Vögel tot, um die Katzen zu fangen …
Tanzen war wie Sichnähren, man trank die Musik. Überall in dem Gedränge um sie herum waren Kreaturen wie sie. Schnauzen mit Borstenhaaren, spitzenbesetzte Manschetten, aus denen Tatzen herausschauten, verrottete, goldverkronte Fänge, Lederschwingen
über rückenfreien Kleidern, rote Augen mit blauem Lidschatten.
Dies waren Draculas Gäste.
Der Prinz selbst brauchte nicht im Raum zu sein. Sein Herz bewegte das hier nicht. Er würde irgendwo unter ihnen sein, in der Erde. Auf dem Höhepunkt des Abends würde er emporsteigen und sich unter seine Gäste mischen.
Sie tanzten an Leuten vorbei, die sie kannte. Geneviève stand in der Ecke und flirtete vorsichtig mit diesem gut aussehenden britischen Vampir, der auf Charles’ Beerdigung gewesen war. Penelope rauchte hastig eine Zigarette und sah so angespannt aus wie ein Kindermädchen, dessen Schutzbefohlene wild herumtobten. Kate fand das amüsant: Sie hatte oft auf Klein-Penny aufpassen müssen, auf die schöne Schreckliche. Penelope konnte nur erwachsen werden, wenn alle um sie herum wieder zu Kindern wurden.
Orson Welles trennte mit dem Schwert eine tschechoslowakische Blondine in zwei Hälften. Er redete im Plauderton weiter, während er die versilberte Klinge durch ihren schönen Bauch gleiten ließ. Inspektor Silvestri und Sergeant Ginko, die als Kellner verkleidet waren, hielten die Augen offen für den Fall, dass Vampirältesten Gefahr drohte; warmblütige Schlafmützen, die albernerweise dazu abgestellt worden waren, die gefährlichsten Leute der Welt zu beschützen.
Endlich bekam sie den Rhythmus hin.
Dra -cu- la, Dra -cu- la, Dra! … Cha-Cha-Cha …
Vater Merrin, in schlichten Gewändern mit einem auffallenden Kreuz auf der Brust, beobachtete das Treiben eher mitleidig als missbilligend. Und, gütiger Gott, dort war Sebastian Villanueva, dieser Verbrecher. Er hätte doch eigentlich daheim sein und sich Raketenwaffen ausdenken müssen. Selbst wenn Villanueva nur vorübergehend im Westen war, war das eine Story wert. Sie sollte sich ein Telefon suchen und ihren Redakteur anrufen.
Nein, sie tanzte.
Dra -cu- la, Dra -cu- la …
Heute Nacht waren ihr die Nachrichten egal.
Dra! … Cha-Cha-Cha …
Sie schlängelte sich nahe an Marcello heran, die Ellbogen auf seinen Schultern, die langen Finger neckisch in seinen leicht geölten Haaren.
Dra -cu- la, Dra -cu- la, Dra! … Cha-Cha-Cha …
Sie leckte sich den Mund, spürte die Rauheit ihrer Zunge auf den vollen Lippen. Sie streckte die Zunge heraus und berührte mit der langen Spitze ihre Nase. Der Trick hatte Penny manchmal genug erfreut, dass sie nicht auf dumme Ideen kam. Sie hatte es genossen, über die arme, farblose, alte Kate zu lachen. Marcello grinste nicht einmal ansatzweise. Für ihn war Tanzen eine ernste Angelegenheit.
Dra -cu- la, Dra -cu- la, Dra! … Cha-Cha-Cha …
Sie wirbelte herum, betonte den Tanz dabei mit präzisen Cha-Cha-Cha-Stößen ihrer Hüften und streckte Penelope - die ihre Zigarette gerade übellaunig auf der Hand eines Kellners ausdrückte - die Zunge heraus, dann brach sie in Gekicher aus. Marcello hielt sie aufrecht, und sie ließ die Musik
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