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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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dreißig Schritte einen Lichtschalter. Oben waren schwache Glühbirnen angebracht, die den von Büchern gesäumten Gang immer nur bis zum nächsten Schalter beleuchteten und nach fünf Sekunden automatisch ausgingen. Man musste sich beeilen, wenn man mit dem Licht Schritt halten wollte.
    Der Raum weitete sich. Viridiana zeigte auf einen der Gänge.
    »Zu Vater Merrin geht es da entlang.« Es widerstrebte ihr sichtlich, sie dorthin zu begleiten. »Er erwartet Sie.«
    Kate dankte dem Mädchen.
    Sie gingen zwischen hohen Schränken einher. Kate übernahm das Drücken der Lichtschalter. Bücher, die so alt waren wie sie, fielen Geneviève ins Auge, dicke, messingbeschlagene Rücken, Seiten von der Farbe gebräunter Haut.
    Kate hatte ihr erklärt, dass es sich bei Vater Lankester Merrin um einen Priester und Gelehrten handele, einen Anthropologen. Er war ein Freund des umstrittenen katholischen Evolutionisten Pierre Teilhard de Chardin sowie - angeblich - einer der letzten Vampirjäger der Kirche. Er sollte in Afrika exorzistische Rituale durchgeführt und irgendeinen dortigen Plagegeist in die äußere
Finsternis verbannt haben. Bei Draculas Tod war er auch dabei gewesen.
    Sie fanden den Priester in einem Lichtkreis am Schnittpunkt mehrerer Regalgänge. Er saß an einem Tisch und machte sich Notizen. Er war dünn, kräftig.
    »Miss Reed«, begrüßte er Kate und stand höflich auf.
    »Vater Merrin, ich darf Ihnen Geneviève Dieudonné vorstellen.«
    »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.« Er hielt ihr die Hand hin.
    Geneviève zögerte.
    »Ich glaube nicht, dass Sie sich an mir verbrennen.«
    Sie schüttelten einander die Hände.
    »Ich bin noch heil.« Sie zeigte ihm ihre Handfläche.
    Er lächelte nicht mit dem Mund, aber seine unglaublichen blauen Augen waren voller Humor. Egal, was sie von seiner Kirche hielt, sie musste zugeben, dass das hier ein Priester war, der diese Bezeichnung verdiente.
    »Vielen Dank, dass Sie einem Treffen zugestimmt haben«, sagte Kate.
    Merrin akzeptierte ihren Dank, ohne den Gefallen zu bagatellisieren, um den er gebeten worden war. Dieses Archiv war Wissenschaftlern außerhalb der Kirche nicht zugänglich, nicht einmal nach Terminvereinbarung. Dass er ermächtigt war, sie hierher einzuladen, deutete auf seinen Rang innerhalb des Vatikans hin.
    »Was wissen Sie über die Mutter der Tränen?«, fragte Kate.
    Merrin nickte, als hätte er diese Frage erwartet. Geneviève hingegen war schockiert. Sicher, als Brastow die drei Mütter erwähnt hatte, hatte er Bond und sie damit auf eine ganz bestimmte Fährte bringen wollen, aber die war bei dem anschließenden Durcheinander prompt zertrampelt worden. Nun fiel Geneviève wieder ein, wie viele Mühen der Geheimdienstchef auf sich genommen hatte, nur um einen Namen fallen zu lassen.

    »Sie interessieren sich für die Mutter Roms?«, fragte Merrin. »Das ewig Weibliche der Ewigen Stadt. Mater lachrymarum.«
    »Der Name taucht immer wieder auf.«
    Merrin lächelte. Frostig. »Gewiss.«
    Geneviève spürte einen leichten Windzug. Buchseiten hoben sich, legten sich wieder. Ein Gebäude von dieser Größe hatte im Inneren wohl sein eigenes Wetter.
    »Sie hat viele Aspekte«, sagte der Priester. »Manche Häretiker nennen sie die Schwarze Jungfrau, die Mutter des Antichristen. Klassische Theorien setzen sie mit Circe, Medea oder Medusa gleich. Sie ist die geheime Herrscherin Roms. Nach offizieller Auffassung der Kirche war sie eine Hexe, wie ihre beiden Schwestern, und ist längst tot und vergessen.«
    »Was glauben Sie?«, fragte Kate.
    »Der Glaube ist von unendlicher Komplexität. Ich habe über Mater lachrymarum keine speziellen Studien angestellt. In den vergangenen Jahren haben einige Gelehrte ein solches Unternehmen angeregt, fanden jedoch keine Unterstützung dafür. Mein Eindruck ist, dass der Vatikan und die Mutter der Tränen sehr voreinander auf der Hut sind und einander nicht die Stirn bieten wollen. Unsere Machtzentren befinden sich an den gegenüberliegenden Ufern des Tiber. Die wenigen Bücher, in denen dieses Wesen erwähnt wird, sind mir momentan nicht zugänglich.«
    Merrin deutete in die Dunkelheit einer Regalgruppe.
    »Wie sieht die Mutter der Tränen aus?«
    »Traditionell hat sie vier Aspekte. Mädchen, junge Frau, reife Frau und altes Weib. Von diesen ist das Mädchen der schrecklichste, weil es unschuldig ist und die Gnadenlosigkeit der Unschuld besitzt. Es ist zugleich, unter gewissen Umständen, der Teufel. Die junge Frau ist

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