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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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eine Heilige, die reife Frau eine Metze und die Alte eine Prophetin. Das Mädchen ist halbblind, aber die Alte sieht alles. Die Heilige sagt die Wahrheit, aber die reife Frau lügt.«

    Kate nickte zu allem, was sie hörte.
    Geneviève begriff allmählich. Dieses kleine Mädchen, das Kate auf der Piazza di Trevi und dann wieder im Palazzo Otranto gesehen hatte, war kein menschliches Wesen, aber auch kein Vampir. Es gab noch andere Monstren auf der Welt.
    »Sie ist stärker als eine Vampirälteste, stärker als alle Vampirältesten«, fuhr Merrin fort. »Sie ist unsterblich, aber nicht alterslos. Mit ihren vier Aspekten ist sie ein vollständiger Kreislauf, ein ganzes Leben. Vampire stehen außerhalb der Welt, außerhalb ihrer Veränderungen und Umbrüche, aber die Mutter der Tränen umarmt sie, verkörpert sie. Ihr Vampire seid kühl, sie ist warm. Eure Herzen stehen still, ihres schlägt im Puls der Stadt.«
    »Was ist ihre Absicht?«, fragte Kate.
    Merrin zuckte ausdrucksvoll die Schultern. »Fortzubestehen?«
    Ein Spiralnotizbuch flatterte, die Seiten blätterten sich um. Hier war es eindeutig windig. Die heilige Brise des Vatikans schlug Geneviève ins Gesicht, fuhr ihr mit unsichtbaren Fingern durch die Haare. Sie spürte, wie eine Eiseshand in ihre Brust hineingriff.
    In der Dunkelheit außerhalb ihres Lichtkreises schlugen Flügel. Kate sah erschrocken auf. Ein Schnabel kam angesaust, oben über die Bücherregale hinweg, schoss nach unten auf den Priester zu, an der Spitze eines langen Körpers mit schwarzen Flügeln.
    Geneviève schlug nach ihm, verfehlte den Vogel aber.
    Die Schnabelspitze hackte in Merrins Stirn, direkt über seiner Brille. Geneviève hechtete nach dem Vogel. Er war so groß wie ein Adler und besaß die Farbe einer Krähe. Gelbe Augen mit rotem Rand. Sie bekam seinen Schnabel zu fassen und hielt ihn zu.
    Die Flügel schlugen, hämmerten mit festen Schlägen gegen ihre Brust, die einer warmblütigen Frau die Knochen gebrochen hätten. Der hässliche Vogel kämpfte sich frei und stieg auf, schwebte über ihnen. Kate lag über Merrin, schützte ihn.
    Geneviève wunderte sich nicht, wie das Vieh hier hereingekommen
war. Es schlug zweimal mit den Flügeln und war außer Reichweite. Seine Klauen drohten mit spitzen Widerhaken aus Horn.
    Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er verschwand.
    Und weg war er.
    Der Effekt war wie ein Schlag auf das Herz. Sie konnte nicht umhin zu denken, dass sie einem Zaubertrick zum Opfer gefallen war, irgendeiner uralten Vorrichtung zur Stärkung des Glaubens durch die unvermittelte Zumutung und Entfernung von gewalttätiger Widrigkeit.
    Kate half Merrin auf und sah sich seine Stirn an. Sie befeuchtete mit ihrer Katzenzunge ein Taschentuch und säuberte die Schnittwunde, wischte das Blut ab.
    Merrin zuckte nicht mit der Wimper.
    Geneviève wusste, dass Kate den Geruch seines Blutes in der Nase haben musste und gegen den Urtrieb ankämpfte, ihren Mund über seine Wunde zu stülpen und zu saugen.
    »Sie müssen vorsichtig sein«, sagte der Priester. »Alle beide.«
    »Was war das?«, fragte Geneviève.
    »Eine Warnung an die Kirche, an mich. Wir sollen uns heraushalten. Diese Sache betrifft nur Sie, also die Vampire, und sie, die Mutter der Tränen.«
    »War das ein weiterer Aspekt von ihr?«, fragte Kate.
    »Nur ein Zauber. Eine kleine Machtdemonstration. Sie schätzt ihre Marionetten sehr, ihre Spielzeuge. Dieser scharlachrote Henker ist wahrscheinlich ein Mann, der ihrem Zauber verfallen ist und tut, was sie ihm sagt.«
    Kate nickte. »Das habe ich mir auch schon gedacht. Dieses kleine Mädchen auf der Piazza di Trevi, das war sie. Sie hat Kernassy und Malenka getötet, mit dem Henker als Waffe.«
    Und in Otranto, dachte Geneviève, was war da? Der scharlachrote Henker am anderen Ende der Fäden war in Rom gewesen
und hatte ein Blutbad verübt. In Otranto, wo Dracula getötet worden war, musste sie ein anderes Spielzeug gehabt haben, eine andere Waffe.
    Auf einmal hatte Geneviève Angst um Kate.
    War ihre Freundin auch schon auf diese Idee gekommen? Bestimmt, sonst wäre sie nicht so auf ihren Kurs fixiert gewesen.
    »Können sie befreit werden?«, fragte Geneviève. »Ihre Marionetten?«
    Merrin schüttelte den Kopf. »Nur im Tod.«
    Kates Gesicht war ausdruckslos.
    Es schien nicht richtig, Vater Merrin allein zu lassen, aber er beharrte darauf, dass ihm nichts zustoßen würde. Der Angriff war kein Anschlag gewesen, sondern eine Demonstration, die ebenso

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