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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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zu der durchaus vernünftigen Feststellung gelangte, dass es, entgegen allen Vermutungen, »die blutgierige Bestie von Whitechapel« habe sich in den Norden aufgemacht, weitaus wahrscheinlicher sei, dass »es sich bei dem Mord von Bitley nicht um eine Wiederholung, sondern eine Nachahmung der Bluttaten von Whitechapel handelt. Eine der unumgänglichen Folgen der Publizität besteht in der Verbreitung einer Epidemie. Ebenso wie die Vermeldung eines
Selbstmords oftmals zu einem zweiten Selbstmorde führt, so zieht die Herausgabe der Einzelheiten eines Mordes häufig deren Wiederholung in einem anderen Mordfalle nach sich. Das Lesen vom Bösen macht mitunter böse Taten erst geschehen.« Wenn die Silver-Knife-Panik denn ihr Gutes hatte, so war es die endgültige Widerlegung des herrschenden Volksglaubens, dass ein Vampir nicht zu töten sei. Zwar mochte Silber schwer zu beschaffen sein, doch konnte jedermann ein Tischbein oder einen Spazierstock spitzen und ihn einem Neugeborenen ins Herz stoßen. Die Frau in Bitley war durch einen entzweigebrochenen Besenstiel umgekommen.
    In allen Zeitungen fanden sich an anderer Stelle Kommentare, die dem jüngsten Erlass des Prinzgemahls hinsichtlich »widernatürlicher Verirrung« Unterstützung boten. Während der Rest der Welt sich mit Riesenschritten dem zwanzigsten Jahrhundert näherte, fiel Britannien in ein mittelalterliches Rechtssystem zurück. Zu Lebzeiten hatte Vlad Tepes gemeine Diebe mit derartiger Grausamkeit verfolgt, dass es dem Rufe nach wohl möglich war, seinen goldenen Trinkbecher unbesorgt am Dorfbrunnen zurückzulassen. Draculas zweite Leidenschaft galt derzeit dem Bemühen, den Eisenbahnverkehr den Fahrplänen gemäß zu regeln; die Times meldete die Ernennung eines neugeborenen Amerikaners namens Jones zum Vorsitzenden einer Kommission zur umfassenden Verbesserung des Zugbetriebes. Der Prinzgemahl selbst verfügte über eine Privatlokomotive, den »Fliegenden Karpater«, und wurde von ›Punch‹ gern mit übergroßer Mütze auf dem Kopf am Regulatorhebel stehend porträtiert, wie er die Pfeife tuten und den Kessel schnaufen ließ.
    Es gab Gerüchte über vampirfeindliche Unruhen in Indien und die brutalen Methoden, derer sich Sir Francis Varney wider die Aufständischen bediente. Während der Prinzgemahl wie eh und je dem Pfahl den Vorzug gab, bestand Varneys liebste Hinrichtungsmethode
darin, warmblütige wie untote Verbrecher in befeuerte Gruben zu werfen. Die einheimischen Vampire unter den Meuterern wurden vor die Mündung eines Artilleriegeschützes gebunden, und dann schoss man ihnen silberäderige Felssplitter durch die Brust.
    Bei dem Gedanken an Indien hob er unwillkürlich den Blick von der Zeitung und sah zu der schwarz gerahmten Fotografie von Pamela auf dem Kaminsims hin. Sie stand lächelnd und mit ihrem weißen Musselinkleid angetan in der indischen Sonne, ihrer beider Kind unter dem Herzen; ein Augenblick, der Zeit entrissen.
    »Miss Penelope«, meldete Bairstow.
    Beauregard erhob sich und begrüßte seine Verlobte. Penelope rauschte in den Salon, hob den Hut von ihren Locken und schnippte sorgsam ein imaginäres Staubkorn vom Gefieder des ausgestopften Vogels, welcher auf der Krempe thronte. Sie trug ein eng anliegendes Hemdblusenkleid mit Ballonärmeln.
    »Charles, du hast ja noch deinen Schlafrock an, dabei ist es fast drei Uhr nachmittags.«
    Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, dass sein Gesicht binnen der letzten Stunden wohl kaum Bekanntschaft mit einem Rasiermesser gemacht habe. Er schickte nach frischem Kaffee. Penelope nahm neben ihm Platz und legte ihren Hut feierlich auf die Zeitungen, die sie daraufhin gedankenverloren zu einem ordentlichen Stapel zusammenraffte. Der ausgestopfte Vogel wirkte ein wenig verschreckt angesichts der misslichen Lage, in der er sich unvermittelt wiederfand.
    »Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt schicklich von dir ist, mich in solch einem Aufzug zu empfangen«, sagte sie. »Schließlich sind wir noch nicht verheiratet.«
    »Meine Liebe, du hast mir nicht allzu viel Zeit gelassen, mir Gedanken über Schicklichkeit zu machen.«

    Sie schluckte, war jedoch bemüht, keine Miene zu verziehen. Bisweilen setzte sie alles daran, den Anschein vollkommener Ausdruckslosigkeit zu vermitteln.
    »Wie war das Criterion?«
    »Entzückend«, sagte sie; eine unverhohlene Lüge. Sie zog die Mundwinkel herunter, und in einem Nu hatte sich das Churchward’sche Lächeln in einen

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