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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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findet sich auch Lucys an Mina - die alle orthografischen Fehler pflichtschuldig mit grüner Tinte korrigierte - gerichtete, überschwängliche Schilderung des Tages, an dem sie angeblich drei Heiratsanträge erhielt. Der dritte kam von Morris, der, wie ich vermute, schmatzend und ein Priemchen Tabak von einem Mundwinkel zum anderen schiebend, im Salon der Westenras saß, peinlich berührt nach einem Spucknapf Ausschau hielt und den Eindruck eines langgehörnten Idioten vermittelte. Lucy verwendet reichlich Worte, Mina zu beeindrucken, und indem sie die Vorkommnisse einer ganzen Woche in einem einzigen Tage zusammenfasst, übertreibt sie doch beträchtlich, was den Ereignisreichtum ihres arbeitsfreien Lebens betrifft. In der Tat ist sie derart darauf bedacht, das Bravourstück der drei Anträge zu preisen, dass sie nur in einem eiligen Postskriptum Platz findet zu erwähnen, welchen ihrer Freier sie anzunehmen gedachte.
    Lucys Symptome, die uns heute so vertraut scheinen, waren mir damals ein völliges Rätsel. Die perniziöse Anämie und die physischen Veränderungen, die mit ihrer Verwandlung einhergingen, deuteten auf ein Dutzend verschiedener Krankheiten hin. Die Wunden an ihrem Hals wurden allerlei Dingen zugeschrieben, angefangen von einer Broschennadel bis hin zu einem Bienenstich. Ich schickte nach meinem alten Lehrer Van Helsing aus Amsterdam; er eilte nach England herüber und stellte eine Diagnose, die er uns jedoch verschwieg. Mit dieser Entscheidung richtete er großen Schaden an, wenngleich ich eingestehen muss, dass wir dem blödsinnigen Geschwätz über Vampire vor kaum drei Jahren wenig Glauben beigemessen hätten. Wie ich heute weiß, bestand sein gewichtigster Irrtum in einem altmodischen,
ja beinahe alchemistischen Vertrauen in Volkssagen und Legenden, die ihn dazu trieben, sich mit Knoblauchblüten, Hostien, Weihwasser und Kruzifixen zu umgeben. Hätte ich damals schon geahnt, dass es sich beim Vampirismus zuallererst um einen physischen und keinen spirituellen Zustand handelt, wäre Lucy vielleicht heute noch untot. Der Graf selbst teilte, und tut dies wahrscheinlich heute noch, viele der irrigen Ansichten des Professors.
    Trotz aller Bemühungen Van Helsings, trotz aller Bluttransfusionen, trotz allen religiösen Brimboriums starb Lucy. Doch war sie nicht die Einzige, die starb. Arts gottloser Vater erlag zu guter Letzt seinem Leiden, machte seinen Sohn zum Lord und hinterließ ihm jenen erstaunlich hohen Anteil seines Vermögens, der nicht seiner Verschwendungssucht anheimgefallen war. Lucys Mutter erlitt beim Anblick eines Wolfes in ihrem Schlafzimmer einen Schock und wurde von einem Herzschlag dahingerafft. Auch sie war bei der Abänderung ihres Testaments ein wenig voreilig zur Tat geschritten, so dass nun ihr gesamter Besitz in Arthurs Hände überging, was sich als ungemein peinlich hätte erweisen können, wäre er, aus Zorn über Lucys Verkehr mit dem Grafen, von der Verlobung zurückgetreten.
    Ohne Zweifel war Lucy - wenigstens für kurze Zeit - wirklich tot. Van Helsing und ich bestätigten ihr Ableben. Heute jedoch muss ich, sosehr es mich auch schmerzt, die Möglichkeit einräumen, dass ihr Tod, der ihren Geist anscheinend noch ärger zugerichtet hat als die Verwandlung, weniger auf den Grafen als vielmehr auf Van Helsings Transfusionen zurückzuführen ist. Diese Prozedur ist für ihre Gefährlichkeit bekannt. The Lancet brachte im vergangenen Jahr eine Reihe von Artikeln über das Blut, ein Thema, das beim Ärztestand in neuerer Zeit auf gewaltiges Interesse stößt. Ein junger Spezialist wirft darin die Frage auf, ob es nicht Unterkategorien des Blutes gebe, die eine herkömmliche Transfusion allein zwischen Angehörigen derselben Gruppe ermöglichen.
Es ist durchaus denkbar, dass mein eigenes Blut das Gift war, das zu ihrem Tode führte. Andererseits gibt es in unserer Mitte viele, die sich Blut zuführen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an Unterkategorien zu verschwenden.
    Wie dem auch sei - und die wiederholten Aufmerksamkeiten des Grafen werden schwerlich zu ihrem Wohlergehen beigetragen haben -, Lucy starb und wurde in der Familiengruft der Westenras auf dem Friedhof von Kingstead nahe Hampstead Heath beigesetzt. Dort erwachte sie in ihrem Sarg und feierte als Neugeborene ihre Auferstehung von den Toten, kam bei Nacht hervor wie ein Gespenst im Drury Lane und begab sich auf die Suche nach Kindern, um bei ihnen ihre neu gefundenen Gelüste zu befriedigen. Wie Geneviève

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