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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Er betrachtete sie wie ein Schmauser zwei fette Pasteten. Ich habe versucht, jene Aufzeichnungen zu rekonstruieren, die in Purfleet den Flammen zum Opfer fielen, und muss mich nun zu guter Letzt dem Tagebucheintrag zuwenden, den vorzunehmen mir verwehrt war. In der Nacht des 2. Oktober 1885 wurde ein großer Fels in den Teich gestoßen; heute leben wir mit der Woge, die dieser Fels verursacht hat - allein, sie ist zur Flutwelle herangewachsen.
    Während Van Helsing unserer kleinen Versammlung einen Vortrag über die Gewohnheiten des gemeinen Vampirs hielt, bestrebte sich der Graf, Mina Harker zu verführen. Wie vor ihr Lucy hatte er sie auserkoren, zweierlei Zwecken zu dienen: seinen Durst zu stillen und zu seinem neuen Spross zu werden. Seine Sendung war von Beginn an eine missionarische gewesen; er war begierig, so viele wie nur möglich zu verwandeln, Soldaten für sein
Heer zu rekrutieren. Wir machten die Irrenanstalt zu unserer Festung und verrammelten uns hinter dicken Mauern und Eisenstäben, als könnten diese den Vampir fernhalten. Überdies nahmen wir Mina und ihren Gatten bei uns auf. Van Helsing wusste wohl, dass der Graf die Frau verfolgen würde, und holte all den religiösen Klimbim wieder hervor, der uns schon in Lucys Fall von so geringem Nutzen gewesen war.
    Einen ersten Hinweis auf das Eindringen des Grafen erhielt ich, als ein Wärter herbeigeeilt kam und mir berichtete, dass Renfield wohl einen Unfall erlitten habe. Ich stürzte in sein Zimmer und fand den Irren auf der linken Seite in einer glitzernden Blutlache liegend. Als ich ihn herumdrehen wollte, bemerkte ich, dass er schreckliche Verletzungen erlitten hatte; es herrschte keinerlei Harmonie mehr zwischen den einzelnen Körperteilen, wie sie selbst bei lethargischem Geisteszustand noch festzustellen ist. In Schlafrock und Pantoffeln versuchte Van Helsing, dem Patienten das Leben zu retten, doch es war hoffnungslos. Von seinem Herrn und Meister verraten, tobte und schäumte er. Quincey und Art kamen herbei, um ihn ruhigzustellen. Während Van Helsing eine Trepanation vorbereitete, versuchte ich ihm einen Schuss Morphium zu injizieren. Renfield schlug die Zähne tief in meine Hand. Nach all den Monaten, die er damit zugebracht hatte, Vögeln die Köpfe abzubeißen, waren seine Kiefer kräftig. Hätte ich sie damals sogleich behandelt, wäre meine Hand heute womöglich noch zu gebrauchen. Aber es war eine ereignisreiche Nacht, und als die Sonne aufging, hatte ich Purfleet verlassen, kaum gesünder, fürchte ich, als der arme tote Renfield.
    Haspelnd berichtete er uns von dem Versuch, sich von seinem Herrn und Meister loszusagen. Er hatte sich wohl ein wenig in Mrs. Harker verliebt, und der Zorn infolge ihrer Behandlung durch den Grafen machte seine Loyalität gegenüber dem Vampir zunichte. Es lag eine Spur Eifersucht in seinem Widerstand, würde
ich meinen, als neide er Dracula die Fähigkeit, Mina langsam das Leben auszusaugen. Sein Zustand wechselte zwischen manischer Raserei und erstaunlicher Gefälligkeit. Wie ich ihn Art und Quincey zeigte, entsann er sich sogleich, dass er Godalmings Vater für den Windham vorgeschlagen hatte, und nutzte die Gelegenheit, Quincey von den Schönheiten des Staates Texas zu berichten, doch wusste er von Harker nur Abschätziges zu sagen und war zudem von Eifersucht auf den Sachwalter nachgerade besessen. Uns allen - auch dem vermeintlich fachkundigen Van Helsing - zuvorkommend, stellte Renfield eine Diagnose über Minas Zustand. »Sie war nicht mehr sie selbst«, sagte er. »Sie kam mir vor wie Tee, den man verwässert hat. Ich mache mir nichts aus den Anämischen; ich mag sie mit viel Blut in den Adern, und das ihre schien zur Gänze ausgelaufen … Er hatte ihr das Leben ausgesaugt.«
    Am frühen Abend hatte Renfield vom Grafen, offenbar in entmaterialisierter, dunstähnlicher Gestalt, Besuch erhalten. Der Sklave hatte seinen Meister zu erdrosseln versucht und war mit unglaublicher Wucht gegen die Wand geschmettert worden. »Das Schlimmste wissen wir jetzt«, sagte Van Helsing. »Er ist hier, und wir kennen seine Absicht. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.« Da wir ein wichtigeres Leben als das Renfields zu retten hatten - eine Ansicht, die vom Patienten selbst bekräftigt wurde -, verwarf Van Helsing sein Vorhaben, ihn zu operieren. Er bat uns, dieselben Waffen aufzunehmen, derer wir uns bereits gegen Lucy bedient hatten. Unsere kleine Versammlung schlich den Flur hinunter zum Schlafzimmer der

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