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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Harkers, gerade so wie die Gefolgsleute des gehörnten Ehemannes in einer französischen Farce. »O weh, o weh, dass die liebe Madame Mina nun auch noch leiden muss«, klagte Van Helsing, während er sein Kruzifix wie einen heidnischen Fetisch von einer Hand zur anderen wandern ließ. Er wusste wohl, dass es ungleich schwerer werden würde, einem
Ältesten bei Nacht gegenüberzutreten, wenn seine Kräfte ihren Höhepunkt erreichten, als eine geistesschwache Neugeborene bei Tage zu vernichten.
    Vor der Tür der Harkers machten wir Halt. Quincey sagte: »Sollen wir sie wirklich stören?« Jener Quincey Morris, den ich von unserer Korea-Expedition her kannte, hätte nicht den geringsten Skrupel verspürt, in finsterer Nacht ins Zimmer einer jungen Dame zu platzen, wenngleich er wohl gezögert hätte, wäre er, wie jetzt, sich gewiss gewesen, dass der Gatte ebenjener Dame sich bei ihr befand. Die Tür war regelrecht verschlossen, und so stemmten wir alle unsere Schultern dagegen. Mit lautem Krachen flog sie auf, und wir stürzten beinahe kopfüber ins Zimmer. Der Professor schlug zu Boden, und ich schaute über ihn hinweg, während er sich auf Hände und Knie erhob. Der Anblick, welcher sich mir bot, ließ mich erstarren. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten.
    Der Mond schien so hell, dass selbst durch den dicken gelben Vorhang noch ausreichend Licht ins Zimmer fiel. Auf dem Bett neben dem Fenster lag Jonathan Harker; sein Gesicht war gerötet, und sein Atem ging schwer. Auf der Vorderkante des zweiten Bettes kniete seine Frau. Neben ihr stand ein großer, hagerer Mann, in Schwarz gekleidet. Sein Gesicht war von uns abgewandt, doch im selben Augenblick, da wir ihn sahen, erkannten wir den Grafen. Mit der Linken hatte er Mrs. Harkers Hände umfasst und hielt sie mit ausgestrecktem Arm weit von sich; seine Rechte umgriff ihren Nacken und drückte sie mit dem Gesicht an seine Brust. Ihr weißes Nachtzeug war blutbefleckt, und ein schmales Rinnsal lief die nackte Brust des Mannes hinab, die unter seinem aufgeplatzten Hemd zum Vorschein kam. Minas Haltung gemahnte in grauenvoller Weise an die eines Kätzchens, dem ein Kind die Nase in die Milchschale stößt, um es zum Trinken zu zwingen.
    Sowie wir ins Zimmer stürzten, wandte der Graf den Kopf, und
ein diabolischer Ausdruck schien sich seiner zu bemächtigen. Mit einem heftigen Stoß warf er sein Opfer wie aus großer Höhe auf das Bett zurück, drehte sich um und sprang auf uns los. Unterdessen hatte sich der Professor aufgerafft und reckte ihm eine seiner Hostien entgegen. Der Graf hielt jäh inne, ebenso wie Lucy vor der Gruft. Immer und immer weiter wich er von uns, die wir mit hocherhobenen Kruzifixen auf ihn eindrangen. Auf solch rechtschaffene Christenmenschen, wie wir es waren, wäre John Jago wahrlich stolz gewesen. Wir hatten den Vampir in die Enge getrieben und hätten ihm womöglich den Garaus machen oder ihn in die Flucht schlagen können, wären wir nicht ins Schwanken geraten. Vor mir befand sich der Beweis, dass Dracula Van Helsings Vertrauen in die zerstörerische Kraft religiöser Symbole teilte, doch mein eigener Glaube schwand dahin. Lieber hätte ich eine Pistole in der Hand gehalten oder Quinceys Bowie-Messer oder gar eines meiner inzwischen versilberten Skalpelle. Dem Grafen mit billigem Kirchenschmuck und einer bröckligen Oblate gegenüberzutreten, erschien mir damals, und tut es auch heute noch, wie pure Narretei. Als sich mein Zweifel regte, ließ ich das Kruzifix zu Boden fallen. Und als eine mächtige schwarze Wolke den Mond verdunkelte, vernahm ich schreckliches Gelächter. Quincey entzündete das Gas mit einem Streichholz, und das Licht flammte auf. Nun, da alle Schatten gebannt waren, stand der Graf vor uns, und Blut sickerte aus der Wunde in seiner Brust. Ich hatte erwartet, Dracula das Blut von Mrs. Harker trinken zu sehen, nicht vice versa.
    »Was sagt man dazu?«, sprach der Graf, wobei er sich gelassen das Hemd knöpfte und die Halsbinde zurechtzog. »Dr. Seward, wenn mich nicht alles täuscht. Und Lord Godalming. Mr. Morris aus Texas. Und Van Helsing. Natürlich, Van Helsing. Professor, nicht wahr, oder Doktor? Das scheint niemand recht zu wissen.«

    Ich war erstaunt, dass er uns mit Namen ansprach, wenngleich er selbstverständlich viele Quellen kannte, Erkundigung über uns einzuziehen: Harker, Renfield, Lucy, Mina. Ich hatte erwartet, seiner Stimme sei das mit schwerem Akzent beladene Krächzen eines Attila zu eigen,

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