Die Vampire
verschwommen, die Pupillen auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft.
Der Graf sah auf und spuckte Gift.
»Seht Ihr, Herr«, sagte Orlando grinsend, »wahrlich, eine überaus wichtige Persönlichkeit, hoher Herr.«
»Kostaki«, herrschte Vardalek ihn an, »was hat diese verfluchte Störung zu bedeuten?«
Seine Bewegungen glichen noch immer denen eines Reptils, sein Körper klatschte gegen den des Knaben wie der einer Schlange. Seine Flanken waren bedeckt mit zarten Schuppen, die das Licht bunt schillernd reflektierten.
»Hauptmann Kostaki«, sagte Gorcha, der mit seiner schweren Muskete in Habachtstellung ging, »was sollen wir tun?«
»Hinaus, ihr Narren«, brüllte Vardalek.
Kostaki fasste einen Entschluss. »Wir können keine Ausnahme machen.«
Vardalek schnappte geifernd nach Luft. Er ließ von dem erschöpften Knaben ab, stand auf und raffte einen wattierten Mantel um sich; sein Rückgrat gewann an Festigkeit, während er auf seine eigentliche Größe zusammenschrumpfte. Rasch fand sein Gesicht zu menschlicher Gestalt zurück. Mit spitzen Fingern setzte er sich die goldfarbige Perücke auf den schweißglänzenden Schädel.
»Kostaki, wir sind doch beide …«
Kostaki wandte sich von seinem Kameraden fort und befahl: »Schafft ihn hinaus zu den anderen.«
Von Klatka machte große Augen, als er sah, dass man den Grafen zum Pfahl hinausführte.
Kostaki blickte gen Himmel. In den Bergen seiner Heimat war er die hellen Punkte der Sterne gewohnt. Hier beraubten ihn Gaslicht, Nebel und mächtige Regenwolken der tausend Augen der Nacht.
Gorcha und der Sergeant mussten Vardalek stützen. Kostaki und von Klatka bauten sich vor dem Gefangenen auf. Dieser lächelte, doch verrieten seine Augen nackte Furcht. Er war nicht dumm. Sein langes Leben war vorüber. Für Graf Vardalek war es mit gazellenschlanken Jünglingen ein für alle Mal vorbei.
»Uns bleibt keine andere Wahl«, erklärte Kostaki. »Vardalek, Sie kennen Fürst Dracula. Wenn wir Sie verschonen, werden wir gepfählt.«
»Kameraden, dies geht gegen jegliche Vernunft.«
Von Klatka trat von einem Fuß auf den anderen wie ein warmblütiger Narr. Er wollte einschreiten, doch er wusste, dass Kostaki Recht hatte. Der Fürst war stolz auf seinen Ruf, hart, aber gerecht
zu sein. Sein Regiment musste seinen Geboten noch strenger gehorchen als irgendjemand sonst.
»Auf ein paar Knaben mehr oder weniger kommt es doch nicht an«, sagte Vardalek.
»Herr, hoher Herr …«
Kostaki hob die Hand. Ein Gardist ergriff Orlando und brachte ihn zum Schweigen.
»Ich bedauere dies zutiefst«, erklärte er.
Vardalek zuckte mit den Achseln, in dem Bemühen, seine Würde zu bewahren. Kostaki kannte den Vampir seit dem 17. Jahrhundert. Er hatte den herablassenden Ungarn zwar nie recht leiden mögen, achtete ihn jedoch als einen beharrlichen und tapferen Mann. Dass Vardalek Knaben bevorzugte, schien ihm nicht weiter bemerkenswert, aber Fürst Dracula hegte nun einmal sonderbare Vorurteile.
»Eines sollen Sie wissen«, sagte der Graf. »Diese verhurte Älteste neulich nachts, diese Ausgeburt Dieudonné: Die Angelegenheit zwischen ihr und mir ist noch nicht bereinigt. Ich habe Schritte unternommen, die Rechnung auszugleichen.«
»Das war nicht anders zu erwarten.«
»Ich habe ihre Vernichtung angeordnet.«
Kostaki nickte. So viel gebot die Ehre.
»Hoher Herr«, winselte Orlando, »wo ich doch nun der Justiz des Prinzgemahls gedient habe, darf ich …«
»Ihr Pfahl wird spitz sein, Vardalek«, versprach er. »Und er wird auf Ihr Herz gerichtet sein. Ein rascher Tod.«
»Danke, Hauptmann Kostaki.«
»Und auf einen kurzen Pfahl, so dass Sie auf ihn herabblicken können, werde ich jenen warmblütigen Wurm spießen lassen, der Sie verraten hat.«
»Hoher Herr«, kreischte Orlando, der seinen Mund aus der Hand des Gardisten befreit hatte. »Bitte, ich, Herr, ich …«
Kostaki wandte sich zu dem Mann um und blickte ihn voller Abscheu an. Orlandos Gesicht war eine tränenüberströmte Fratze der Angst.
»Und der Pfahl, der seine Gedärme spießt, wird stumpf sein.«
16
Am Wendepunkt
27. SEPTEMBER
A uf meine Lucy folgte Mina. Sowie dem Grafen Dracula sein erster Spross genommen war, richtete er alle Aufmerksamkeit auf die Gemahlin seines Sachwalters. Ich bin der festen Überzeugung, dass er Mrs. Harker bereits ins Visier genommen hatte, als er noch Lucy seine Aufwartungen machte. Die beiden Frauen weilten gemeinsam in Whitby, als er ans Land stieg.
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