Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
»ich will büßen …«
    Die wogenden Leiber drängten ihn vorwärts. Er hätte eigentlich längst tot sein müssen, doch ist der Wahnsinn wohl imstande, Menschen mit den schrecklichsten Verletzungen auf den Beinen zu erhalten, wenn auch nur für die Dauer eines Anfalls. Er hatte die Insassen befreit. Renfield sank auf die Knie und wurde von seinen irrsinnigen Genossen überrollt. Bauer gab ihm mit einem Tritt in sein kaputtes Kreuz den Rest. Irgendwo im Haus war ein Feuer ausgebrochen. Und ich vernahm grauenvolle Schreie, die entweder von umhertobenden Patienten stammten oder vom Personal, das ihren erhitzten Zorn zu spüren bekam.
    Ich wandte mich nach Art um, doch er war verschwunden. Ich habe ihn seither nicht wiedergesehen. Ich schlang meinen gesunden Arm um Van Helsing und zog ihn von dem Pöbelhaufen fort.
Der Graf hatte von Mina abgelassen, trat aus dem Zimmer der Harkers und brachte die Insassen mit einem Blick zum Schweigen, ebenso wie er dem Rufe nach imstande war, sich Wölfe und anderes wildes Getier zu unterwerfen.
    Ich zerrte Van Helsing zur Hintertreppe, die auch Art genommen haben musste. Er leistete Widerstand, murmelte noch immer von geweihten Hostien und untoten Blutsaugern vor sich hin. Ein anderer an meiner statt würde ihn vielleicht im Stich gelassen haben, doch trieb mich plötzlich eine Kraft, die mir zuvor besser angestanden hätte. Ich allein trug Schuld daran, dass Lucy zweifach vernichtet worden war, Quincey und Harker ihr Leben hatten lassen müssen, Mina dem Grafen nun als Sklavin diente. Selbst Renfield hatte ich auf dem Gewissen: Er war meiner Obhut anvertraut, und ich hatte ihn zu einem Experiment missbraucht, ebenso wie er es mit seinen Spinnen und Insekten getan hatte. Ich setzte all meine Hoffnung in Van Helsing, ganz so, als sei er meiner Seele Rettung, als könne sein Leben den Tod der anderen sühnen.
    Mina, die nun neben den Grafen trat, befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Verwandlung. Wie ich höre, ist dieser Prozess recht unbeständig, was die Dauer seiner Inkubation betrifft. Im Falle Mrs. Harkers ging er mit rasender Schnelligkeit vonstatten. Es fiel schwer, in dieser neugeborenen Buhlerin, der man das Nachtzeug vom wollüstigen weißen Leib gerissen hatte, die prüde, praktische Schullehrerin aus dem unteren Mittelstand zu erkennen, der ich kaum einen Tag zuvor das erste Mal begegnet war.
    Mit gewaltiger Kraftanstrengung gelang es mir, den Professor zu überwältigen. Er erschlaffte, und ich brachte ihn zur Treppe. Dabei beeilte ich mich, als würden wir verfolgt, doch niemand war uns auf den Fersen. Art hatte allem Anschein nach eines der Pferde aus dem Stall genommen und es versäumt, die sprichwörtliche Türe hinter sich zu schließen, denn mehrere Tiere wanderten
frei auf den Wiesen umher. Schon schlugen Flammen aus den Fenstern im Parterre der Irrenanstalt von Purfleet. Ich schmeckte den Rauch in der Luft. Wie entlaufene Geisteskranke flohen wir in die Wälder, ohne den wüsten schwarzen Schatten der Carfax-Kapelle eines weiteren Blickes zu würdigen. Wir hatten eine verheerende Niederlage erlitten. Das ganze Land lag vor Graf Dracula, reif zur blutigen Ernte.
    Wir verbrachten Tage und Nächte in den Wäldern. Van Helsing hatte Herz und Verstand verloren, und meine Hand war nur mehr eine schmerzende Keule. Wir fanden ein Loch, das uns geringen Schutz vor den Elementen bot, und verbargen uns darin, schreckten bei jedem Laut zusammen. Selbst bei Tag war unsere Furcht so groß, dass wir uns nicht zu regen wagten. Der Hunger wurde zur Qual. Es kam so weit, dass Van Helsing Erde zu essen versuchte. Wenn ich denn in Schlaf sank, wurde ich von den immergleichen Träumen heimgesucht, Träumen von meiner geliebten Lucy.
    Sie fanden uns vor Wochenfrist. Mina Harker führte sie an, in Hosen und eine meiner alten Tweedjacken gekleidet, das Haar unter eine Mütze hochgesteckt. Die kleine Rotte von Neugeborenen bestand aus verwandelten Patienten und einem Wärter. Sie hatten sich zu einer Suchmannschaft formiert, welche die Befehle des Grafen ausführte, während dieser sein Hauptquartier von Purfleet nach Piccadilly verlegte. Sie ergriffen Van Helsing, fesselten ihn und banden ihn auf ein Pferd, um ihn zu der Kapelle zu bringen. Sein Schicksal ist allzu bekannt, als dass man es abermals zu erzählen brauchte, und allzu schmerzvoll ist die Erinnerung daran.
    Ich blieb allein mit Mina. Die Verwandlung hatte sich bei ihr auf andere Weise ausgewirkt als bei ihrer Freundin. Lucy

Weitere Kostenlose Bücher