Die Vampire
sind eben nur Funktion. Von Form keine Rede.«
Beauregard war im Zweifel. Die Kugeln sahen aus wie Reihen winziger Soldaten mit spitzen Helmen, glänzend und gefällig.
»Deshalb bereitet mir eine Bestellung wie die Ihre auch solche Freude, Mr. B. Solche Freude.«
Fox Malleson nahm ein langes, schmales Bündel von einem Gestell. Es war in grobes Tuch geschlagen und mit Schnur umwickelt. Der Silberschmied liebkoste es, als sei es Excalibur und er der Ritter, in dessen Obhut es sich bis zur Rückkehr von König Artus befinde.
»Möchten Sie es sich ansehen?«
Beauregard löste die Schnur und schlug das Tuch zurück. Sein Stockdegen war poliert und nachgebessert worden. Das Holz glänzte schwarz mit einem Stich ins Rötliche.
»Eine wunderbare Arbeit, Mr. B. Wer dieses Stück geschaffen hat, war ein Künstler.«
Beauregard drückte den Schnäpper und zog den Degen heraus. Er legte die hölzerne Scheide beiseite, hielt die Klinge in die Höhe und drehte sie, so dass sie den roten Schein der Glut zurückwarf. Es funkelte, blitzte und tanzte.
Das Gewicht war unverändert, die Balance perfekt. Der Degen war leicht wie eine Weidenrute, doch schon die leiseste Regung des Handgelenks wurde zu einem mächtigen Hieb. Beauregard ließ ihn pfeifend durch die Luft sausen und lächelte zufrieden.
»Wunderschön«, bemerkte er.
»O ja, Mr. B., wunderschön. Wie eine vornehme Dame, wunderschön und von allerfeinstem Schliff.«
Beauregard ließ den Daumen langsam über die glatte, kalte Fläche der Klinge gleiten.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte der Silberschmied. »Benutzen Sie ihn nicht, um damit Wurst zu schneiden.«
Beauregard lachte. »Mein Wort darauf, Fox Malleson.«
Er nahm den Stock und schob den versilberten Degen mit einem Klicken in die Scheide. Nun, da er wusste, dass er es mit allem und jedem aufnehmen konnte, fühlte er sich sicherer in Whitechapel.
»Und jetzt, Mr. B., müssen Sie sich ins Giftregister eintragen.«
18
Monsieur le Vampire
K ommen Sie schnell, Miss Dee«, sagte Rebecca Kosminski. »Lily geht es gar nicht gut.«
Das besonnene Vampirmädchen geleitete Geneviève durch die Straßen, fort von der Hall. Sie besorgte ihren Botengang mit peinlicher Sorgfalt. Unterwegs befragte Geneviève das Mädchen über sich und ihre Familie. Rebecca gab nur widerstrebend Antworten, welche den Schluss nahelegten, sie befände sich in Umständen, deretwegen sie zu bedauern sei. Die Neugeborene war schon jetzt von unabhängigem Charakter. Sie kleidete sich wie eine kleine Erwachsene und verweigerte die Auskunft, als Geneviève sich nach ihren Lieblingspuppen erkundigte. Sie war über ihren kindlichen Körper hinausgewachsen.
Die gemeinste Frage, die man ihr überhaupt stellen konnte, lautete: »Was würdest du gern werden, wenn du groß werden könntest?«
In den Minories bemerkte Geneviève erneut, dass ihr in einigem Abstand jemand folgte. Während der letzten Nächte hatte sie immer wieder die Anwesenheit von etwas gespürt, das sie nicht recht zu fassen vermochte. Etwas Gelbes, das hüpfte.
»Sind Sie schon sehr alt, Miss Dee?«, wollte Rebecca wissen.
»Ja. Sechzehn warmblütige Jahre und seit vierhundertundsechsundfünfzig Jahren in Finsternis.«
»Sind Sie eine Älteste?«
»Ich glaube schon. Mein erster Ball war 1429.«
»Werde ich eine Älteste?«
Das war nicht allzu wahrscheinlich. Nur wenige Vampire wurden älter als gewöhnliche Sterbliche. Falls Rebecca ihr erstes Jahrhundert überdauerte, würde sie höchstwahrscheinlich auch noch einige Hundert Jahre länger leben. Höchstwahrscheinlich.
»Wenn ich eine Älteste werde, will ich so sein wie Sie.«
»Das überlege dir genau, Rebecca.«
Sie kamen zur Eisenbahnbrücke, und unter den Bögen erblickte Geneviève einen wirren Haufen von Männern und Frauen. Das Ding außer Sehweite hat ebenfalls angehalten, dachte sie bei sich. Sie glaubte etwas Uraltes zu spüren, das jedoch nicht wirklich tot war.
»Hier, Miss Dee.«
Rebecca nahm ihre Hand und führte sie zu der Gruppe, die sich um Cathy Eddowes geschart hatte. Diese hockte in der Gosse und hielt Lilys Kopf auf ihren Schoß gebettet. Die beiden Neugeborenen sahen gar nicht gut aus. Cathy war noch magerer als einige Nächte zuvor. Ihr Hautausschlag bedeckte nun auch Wangen und Stirn. Der Schal, den sie um den Kopf gewickelt trug, konnte das Ausmaß ihrer Blessuren nicht verhehlen. Die Schaulustigen ließen Geneviève passieren, und Cathy lächelte zu ihr hinauf.
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