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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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war sinnlicher und halsstarriger geworden, Mina hingegen strenger und entschlossener. Sie schickte sich in ihr Los als verlorene
Seele Draculas und empfand ihren neuen Zustand als Befreiung. Zu Lebzeiten war sie stärker gewesen als ihr Gatte, stärker als die meisten Männer. Die Verwandlung hatte sie noch stärker gemacht.
    »Lord Godalming ist einer von uns«, sagte sie.
    Ich glaubte, sie wollte mich auf der Stelle töten, wie sie es auch mit ihrem törichten Gatten getan hatte. Oder mich zu einem der Ihren machen. Ich stand auf, schob meine schmutzige, geschwollene Hand tief in meine Tasche, in der Hoffnung, alldem, was nun kommen mochte, mit Würde zu begegnen. Ich suchte nach angemessenen letzten Worten. Sie trat ganz nah an mich heran, ein Lächeln zerfurchte ihre Wangen, und ihre spitzen Zähne schimmerten hell und weiß im Mondlicht. Bald war meine Angst verflogen, und ich zupfte an meinem Kragen, spürte die Nachtluft an meinem bloßen Hals.
    »Nein, Doktor«, sagte sie und ging in die Dunkelheit davon, ließ mich allein im Wald zurück. Ich zerrte an meinen Kleidern und weinte.

17
    Silber
    V or einer Schenke an der Ecke Wardour Street boten sich diskret zwei Gassendirnen feil. Beauregard erkannte ihren stummen Beschützer als den Sportsmann aus Limehouse wieder, der seine Tätowierungen unter einem langen Samtmantel verborgen hielt. Wo auch immer er in dieser Stadt, in dieser Welt sich hinbegab, dem fein gesponnenen Netz der Schattenmenschen konnte er nicht entkommen. Zwar tat der Mann gerade so,
als habe er ihn nicht bemerkt, doch wussten die Mädchen offenbar sofort, dass sie ihn nicht zu behelligen hatten.
    Die Adresse befand sich in der D’Arblay Street: ein unscheinbares Lädchen zwischen der Werkstatt eines Kunsttischlers und dem Geschäft eines Juweliers. Im Schaufenster des Tischlers stand eine Auswahl von Totenkisten aufgereiht, die von einfachen Brettertruhen bis zu prachtvoll gearbeiteten Stücken reichte, welche selbst einem Pharao alle Ehre gemacht hätten. Ein Neugeborenen-Paar stand staunend vor einem besonders schönen Sarg, groß genug für eine ganze Familie und pomphaft genug, die Gattin eines Ratsherrn aus der Provinz vor Neid erblassen zu machen. In der Auslage des Juweliergeschäfts befand sich eine ganze Ansammlung von Edelsteinen und Ringen, die in Form und Zeichnung Fledermäusen, Totenköpfen, Skarabäen, Dolchen, Wolfsschädeln oder Spinnen nachempfunden waren; Flitterwerk, wie es jene Neugeborenen bevorzugten, die sich als Gruftikusse zu betiteln pflegten. Andere nannten sie auch Murgatroyds, nach der Familie aus der Oper Ruddigore, welche die Brut ein Jahr zuvor im Savoy Theatre mit beachtlichem Erfolg gegeben hatte.
    Die Bewohner von Soho waren weitaus exzentrischer als ihre armseligen Verwandten in Whitechapel. Die Murgatroyds waren in der Hauptsache damit befasst, für ihren Schmuck Sorge zu tragen. Viele der Frauen, die nach Sonnenuntergang hervorkamen, stammten aus dem Ausland: aus Frankreich, Spanien oder gar China. Sie bevorzugten an Sterbehemden gemahnende Kleider, dicke Spinnwebschleier, scharlachrote Lippen und Nägel sowie hüftlange, schwarz glänzende Locken. Die Männer folgten der Mode, wie sie von Lord Ruthven vorgegeben wurde: hochtaillierte, unerhört knapp sitzende Kniehosen, schlotterige georgianische Manschetten, rüschenbesetzte scharlachrote oder schwarze Hemden, im Nacken bebänderter Kopfputz mit weiß gefärbten Strähnen darin. Nicht wenige Vampire, insbesondere
die Ältesten, betrachteten jene, die mit Fledermausumhang und fingerlosen schwarzen Handschuhen im Dunkel eines Gottesackers umherkreuchten, wohl ebenso, wie ein Gentleman aus Edinburgh einen Yankee betrachten mochte, dessen Großvater mütterlicherseits aus Schottland gebürtig ist und der sich nun in Kilt und Tartanschärpe hüllt, einer jeden Bemerkung ein Zitat von Burns oder Scott voranschickt und eine Vorliebe für haggis und Dudelsäcke hegt. »Basingstoke«, murmelte Beauregard vor sich hin, jenes Gilbert’sche Zauberwort aussprechend, das dem Vernehmen nach selbst den von tiefster Trübsal befallenen Murgatroyd in die gelinde Mittelmäßigkeit der Vorstädte zurückzuholen vermochte.
    Er betrat Fox Mallesons établissement. Der Laden war leer, Tische und Regale fortgeschafft. Das Fenster war mit grüner Farbe übertüncht. Ein raubeiniger Vampir saß wachsam neben der Tür zu den Werkstätten. Beauregard zeigte dem Neugeborenen seine Karte; dieser erhob sich, überlegte einen

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