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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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die Kreide fort. Niemand protestierte gegen die Vernichtung von Beweisen, wenngleich Beauregard keineswegs entging, dass die Kriminalbeamten verstohlene Blicke wechselten.
    »Na bitte«, sagte Sir Charles. »Manchmal scheint es mir, als müsste ich alles selbst erledigen.«
    Beauregard bemerkte eine engstirnige, leidenschaftliche Impulsivität, die in Lucknow oder Rorke’s Drift als beherzte Kühnheit hätte durchgehen mögen, und plötzlich begriff er, weshalb Sir Charles Entscheidungen zu treffen vermochte, wie sie im Blutsonntag ihren Höhepunkt gefunden hatten.
    Die Würdenträger zerstreuten sich, kehrten in die wohlige Wärme ihrer Wagen und Clubs zurück.

    »Werde ich Sie und Penny bei den Stokers treffen?«, fragte Godalming.
    »Wenn diese Sache beendet ist.«
    »Empfehlen Sie mich Ihrer Penny.«
    »Aber gewiss doch.«
    Godalming folgte Sir Charles. Nur die Constables aus dem East End blieben zurück, um das Durcheinander zu beseitigen.
    »Man hätte es fotografieren müssen«, meinte Halse. »Es war ein Indiz, verflucht, ein Indiz.«
    »Ruhig Blut, mein Freund«, erwiderte Abberline.
    »Also«, sagte Lestrade. »Bei Sonnenaufgang sollen die Zellen aus allen Nähten platzen. Schaffen Sie mir jede Stiefelnutte, jeden Louis, jeden Schläger, jeden Beutelschneider herbei. Unter welchem Vorwand auch immer. Irgendjemand weiß etwas, und früher oder später wird dieser Jemand reden.«
    Das würde dem Limehouse-Ring gar nicht gefallen. Überdies befand Lestrade sich im Irrtum. Beauregard kannte das Londoner Verbrechergewerbe gut genug, um zu wissen, dass ein jeglicher Ganove ihm unverzüglich Mitteilung erstatten würde, wenn sich auch nur der geringste Hinweis auf die Identität des Rippers ergäbe. Er hatte verschiedene Telegramme erhalten, in denen man ihm bedeutete, welche Fährte sich als fruchtlos erweisen würde.
    Das Schattenimperium hatte bereits mehrere Spuren verworfen, die Scotland Yard mit ungebrochenem Eifer verfolgte. Der Gedanke, dass die Verbrecher von Limehouse über einen höheren Prozentsatz hochrangiger Verstandeskünstler verfügten als jene, die sich soeben in der Goulston Street versammelt hatten, erfüllte ihn mit einer gewissen Beunruhigung.
    Er ging mit Geneviève zur Commercial Street zurück. Es war schon spät am Nachmittag, und er hatte seit über sechsunddreißig Stunden kein Auge mehr zugetan. Zeitungsjungen riefen Extrablätter
zum Verkauf aus. Nach dem Brief mit der Unterschrift des Mörders und zwei weiteren Morden hatte die Gier nach Neuigkeiten ihren Gipfelpunkt erreicht.
    »Wie denken Sie über Warren?«, fragte Geneviève.
    Beauregard hielt es für das Beste, ihr seine Meinung vorzuenthalten, doch sie hatte ihn in einem Nu gänzlich durchschaut. Sie gehörte also zu jener Spezies Vampir, und er würde achtgeben müssen, was er in ihrer Gesellschaft dachte.
    »Ich auch«, sagte sie. »Zweifellos der falsche Mann für diesen Posten. Ruthven müsste das eigentlich wissen. Trotz alledem, immer noch besser als ein irrsinniger Karpater.«
    Verwirrt äußerte er eine Vermutung. »Wenn man Sie so reden hört, könnte man meinen, Sie hegten gewisse Vorurteile gegen Vampire.«
    »Mr. Beauregard, ich bin umringt von den Nachkommen des Prinzgemahls. Zwar ist es zu spät, mich zu beklagen, nur steht Vlad Tepes schwerlich für die Besten meines Schlages. Niemand bringt einem ausgearteten Juden oder Italiener größeres Missfallen entgegen als ein Jude oder Italiener.«
    Als die Sonne unterging, bemerkte Beauregard, dass er mit Geneviève allein war. Sie nahm ihre Mütze ab.
    »Ja«, sagte sie und schüttelte ihr honigfarbenes Haar, »so ist es besser.«
    Geneviève schien sich wie eine Katze am Ofen zu recken. Er spürte förmlich, wie ihre Kraft wuchs. Ihre Augen funkelten ein wenig, und ihr Lächeln bekam etwas geradezu Verschlagenes.
    »Übrigens, wer ist Penny?«, wollte sie wissen.
    Beauregard fragte sich, was Penelope wohl treiben mochte. Seit ihrer Auseinandersetzung vor einigen Tagen hatte er sie nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    »Miss Penelope Churchward, meine Verlobte.«
    Zwar vermochte er Genevièves Miene nicht recht zu deuten,
doch hatte er den Eindruck, als verengten sich ihre Augen um eine Nuance. Er versuchte an nichts zu denken.
    »Ihre Verlobte? Das wird nicht von Dauer sein.«
    Er war entsetzt über ihre Unverfrorenheit.
    »Verzeihen Sie, Mr. Beauregard. Aber Sie dürfen mir glauben, ich weiß es genau. Nichts ist von Dauer.«

26
    Grübeleien und Verstümmelungen
    2.

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