Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig

Titel: Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lewis Harris
Vom Netzwerk:
was Tony erzählt hat.«
    Und bis zur letzten Stunde wussten alle in der Schule, was Tony erzählt hatte.

    Miss Larch klopfte mit dem Lineal auf den Tisch, als die Glocke zum Unterricht läutete, doch wir flüsterten weiter. »Ruhe jetzt«, rief sie und klopfte lauter.
    Ihre Lippen waren tiefrot geschminkt. Sie wirkte heute irgendwie größer. Ich musterte rasch ihr seidiges schwarzes Kleid bis runter zu den hochhackigen Sandalen und purpur lackierten Fußnägeln. Ein silberner Ring schmückte ihren rechten kleinen Zeh. Ihr Gesicht war rosenrot. Sie glühte vor Kraft - ganz anders als gestern, als ihr nicht gut gewesen war und sie sich anscheinend fast übergeben hatte. Sie taxierte die Klasse langsam und sah mich schließlich lange an. Ich verspannte mich und erwartete beinahe, ihre Stimme in meinem Kopf zu hören, doch sie lächelte bloß und sah weg.
    »Schluss mit der Gerüchteküche - beginnen wir mit dem Unterricht. Ich weiß, dass alle wild tratschen, doch ich bin mir sicher, dass die Polizei uns raten würde, etwas anderes zu tun.« Miss Larch hob das Biobuch hoch und ließ uns den Text über Würmer auf Seite 97 aufschlagen.
    Wusstest du, dass der längste je gefundene Regenwurm fast sieben Meter lang war? Muss das jemand wissen? Ich war gar nicht unglücklich, als die Schulglocke der Beschäftigung mit Lumbricus terrestris ein Ende setzte.

    »Svetlana, einen Moment bitte«, sagte Miss Larch nach dem Unterricht.
    Die Übrigen gingen nacheinander auf den Flur, während ich nervös vor dem Schreibtisch der Lehrerin wartete und meinen Rucksack umklammerte. Mit einem dumpfen Klicken schloss sich die Klassenzimmertür nach dem letzten Schüler. Larch trommelte mit lackierten Fingernägeln auf ihre Tischplatte. Die andere Hand hatte sie unter die Kinnspitze gestützt, und mit dem Zeigefinger tippte sie sich nachdenklich an die lächelnden Lippen.
    »Dein Vater kommt dich heute nicht abholen?«
    »Ich bin mit dem Rad da.«
    »Tja, ich bin nie Rad gefahren«, erwiderte sie. Ist mir da was entgangen?
    Die Frage kam, als ihre Lippen sich nicht mehr bewegten. Es hatte etwas Beruhigendes, wie ihre Worte in meinem Gehirn flüsternd zum Leben erwachten.
    Wie machen Sie das?, dachte ich - und fragte es zugleich, ohne darüber nachzudenken.
    Ihre Mundwinkel hoben sich leicht. Wie machst du das? Ihre smaragdgrünen Augen lachten.
    Hörte ich ihr Lachen in meinem Kopf?
    Ich stand mit an die Brust gepresstem Rucksack da, starrte sie an und spürte, wie ich ins wirbelnde Grün ihrer Augen stürzte. Es war, als fiele ich aus großer Höhe einem tosenden Meer entgegen. Ich streckte
die Hand nach der Kante ihres Tischs aus und gewann das Gleichgewicht zurück. Hörte ich Musik in meinem Kopf? Ein sanftes Pfeifen?
    Hast du schon mal telepathisch mit jemandem geredet?, fragte sie. Und halben dich die Gedanken eines anderen je erreicht, Svetlana?
    Ich spürte die Worte in meinem Kopf, bemerkte aber noch etwas anderes: eine Art Hand, die im Dunkeln tastete, als wühlte sie in einer unbekannten Schublade. Miss Larch war in meinem Kopf und suchte nach etwas. Ich zwang mich, wegzuschauen, und das Gefühl verschwand.
    »Sehr gut«, sagte sie, und an die Stelle ihres Lächelns trat etwas Undurchdringliches. »Du kannst dich schützen. Aber du hast von mir nichts zu befürchten. Ich bin deine Freundin, Svetlana.«
    »Ich bin...« Ich wusste nicht, was ich sagen wollte. Mir war plötzlich schwindlig.
    Miss Larch lachte leise, kam um ihren Tisch herum und trat ganz nah an mich heran. Um mir in die Augen zu sehen, beugte sie sich zu mir herunter. Über ihre Lippen wehte Kirschatem. Ein Bonbon klickte an ihre vollkommenen Zähne. Der unangenehme Geruch nach fauligem Fleisch war noch immer da, aber nur ganz schwach. Vielleicht war er bloß eine Erinnerung.

    »Neulich«, begann sie. »Warum hast du mir das gesagt? Dass du ein Vampir seist?«
    »Ich...«
    Ist es deshalb? Weil wir Gedanken austauschen? Und beide eine Vorliebe für Rot haben?
    »Sie sind auch so«, gab ich zurück, »Sie essen auch nur rote Dinge.«
    Ihre Lippen verzogen sich zu einem Schlangenlächeln. »Tiefrote Dinge«, hauchte sie.
    »Und schlafen Sie unter Ihrem Bett?«
    Diese Frage schien sie zu überraschen. »Unter meinem Bett?« Sie sah mich verblüfft an. »Du schläfst unter deinem Bett?«
    »Ja.«
    »Na, ich weiß nicht, wozu das gut sein soll.«
    »Wir sind gleich. Wir sind beide Vampire.«
    Miss Larch strich mir über die Wange, und die eisige Glätte ihrer

Weitere Kostenlose Bücher