Die Vampirjaegerin - Till the End of Time
seit er diese Kreatur geworden war, dieser Vampir. Aber wie sollte es nun weitergehen? Er musste andere Wesen finden, die wie er waren. Er ging weiter und lauschte seinen Schritten im Wasser.
Er musste dieses Mädchen befreien, dass ihm zur Flucht verholfen hatte; und er hoffte, sie möge noch am Leben sein. Er hoffte, sie würde nicht erleben müssen, was er erlebt hatte. Ihr würde er alle Fragen stellen können, die noch offen waren. Sie würde ihm sicher sagen können, was es bedeutete, Vampir zu sein, selbst wenn sie Vampire bekämpfte – oder gerade weil sie sie bekämpfte. Sie war der Beweis, dass er nicht allein war. Vor allem aber musste er seinen Hunger stillen. Aber wie und wo? Einfach einen Menschen töten und von ihm trinken? Seine Reißzähne in den Hals schlagen und den Tod bringen? Zum Teufel: Ja, er wollte selbst leben. Außerdem hatte er bereits einen Menschen getötet. Er hatte diesem maskierten Mann das Genick gebrochen und war überrascht, wie leicht das ging. Es hatte sich angefühlt, als hätte er ein Streichholz zerbrochen. Er musste herausfinden, was er mit all diesen Kräften anstellen konnte und welche Kräfte er als Vampir außerdem besaß. Dass sich die moralischen Grenzen offenbar ganz automatisch verschoben, war sicherlich ein Vorteil. Er hoffte, nicht der einzige Vampir in seiner Stadt oder im größeren Umkreis zu sein. Wie sollte er sie finden, wie erkennen? Schließlich glaubte doch niemand mehr daran, dass diese Wesen wirklich existierten. Auch er hatte es nicht getan. Aber ganz offensichtlich gab es Vampire. Warum gab es also in den Medien keine Berichte über mysteriöse Vorkommnisse wie etwa blutleere Leichen oder Wesen, die bei Tageslicht verbrannten? Es hätte doch irgendeine Spur geben müssen. Schließlich konnten sie kaum unsichtbar sein, er war es ja auch nicht.
Er wartete weiter durch diese stinkende Brühe. Er hatte verdammt viel zu verarbeiten und zu lernen, wollte er existieren.
Mehrere Tage waren vergangen, Sayura lebte noch immer. Doch das Ritual der Blutabnahme wiederholte sich. Aufgrund ihrer labilen körperlichen Verfassung wurden die Zeitabstände zwischen den Abnahmeperioden länger. Sie ließen ihr selbst immer so viel Blut übrig, dass es zum Überleben reichte. Nach der Abnahme schleppten sie Sayura stets in den Kerkerraum und überließen sie ihrem Schicksal. Die vier Wände hatten ihre anfängliche Bedrohlichkeit längst schon verloren. Für Sayura waren sie jetzt fast schon eine Zuflucht. Denn es bedeutete, wann immer sie hierher zurückgebracht wurde, dass die Tortur ihrer Qual vorerst ein Ende hatte. Die Flexüle in ihrem rechten Arm schmerzte und hatte sich entzündet. Das störte die Männer jedoch recht wenig. Der Austausch der Venenkatheter erfolgte in größeren Abständen stets wechselseitig. Mit Besorgnis fiel Sayuras Blick auf ihren völlig zerstochenen und entzündeten linken Arm. Die Suche nach einer geeigneten Vene würde auch hier wieder zu einer Tortour werden. Völlig egal ob die Maskierten nun Ellenbogen, Handgelenk oder Handrücken zur Punktion der Blutentnahme auswählen würden.
Zu essen bekam sie in der Zwischenzeit reichlich, Wasser ebenso. Ihre Notdurft musste sie in einen Eimer in einer Ecke ihres Gefängnisses hinein verrichten.
Wenn sie vor sich hin döste, wurde sie manchmal von Ratten gebissen. Richtig geschlafen hatte sie schon ewig nicht mehr. Diese Viecher fanden besonderen Gefallen an den weißen Schuhen, die durch ihre dünne Plastikhaut keinen wirklichen Schutz vor den Bissen boten.
Jedes Zeitgefühl war Sayura abhandengekommen. „Ewig“ bekam plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Das würde sicher auch der Vampir bald feststellen. Es musste schlimm sein, gerade noch ein Mensch gewesen zu sein und durch Willkür und Gewalt zu einem Vampir gemacht zu werden. Es war beinahe schon paradox: Sie, eine Vampirjägerin, hatte einem Vampir das Leben gerettet. „Natzuya“ hatte ihn einer der Entführer genannt. Der Name passte gut zu ihm, er war ein hübscher Mann. Fast schon erstaunlich fand sie die Tatsache, dass sie beide Namen trugen, die japanischer Herkunft waren. Dunkel erinnerte sie sich, dass sie einst einen anderen Namen besaß; sie glaubte, es sei Lilian gewesen. Doch mit Eintritt in den geheimen Bund der „Organisation der Vampirjäger“ wurde ihre alte Existenz gelöscht, und sie bekam diesen neuen Namen: Vampirjägerin Sayura Lèmon, Identifikationsnummer 2336.
Sayura verlor sich in Tagträumen.
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