Die Verbannung
gesprochen, als wir uns das letzte Mal sahen. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich da ...«
»Bitte, Mrs. Matheson. Ich habe mich früher immer so gefühlt, als würde ich fast zur Familie gehören. Hoffentlich hat sich daran nichts geändert.«
Einen Moment lang herrschte Stille, dann öffnete Mrs. Matheson die Tür und ließ Cody eintreten. Sie trug einen pinkfarbenen Hausanzug und hatte sich sorgsam frisiert, jedoch kein Make-up aufgelegt; noch nicht einmal versucht, die blauen Flecke irgendwie zu überschminken. Cody hatte sie schon oft so gesehen und immer verstanden, warum Dylan abends nie hatte nach Hause gehen wollen. Tatsächlich hatte er Codys Mom häufig überredet, ihn zum Essen bleiben zu lassen, weil er nicht zu Hause essen wollte.
Am liebsten hätte sie Mrs. Matheson bei den Schultern gepackt, sie geschüttelt und ihr eingehämmert, endlich ihr Leben zu ändern, aber sie hielt den Mund. Wozu sollte sie die arme Frau noch mehr aufregen? Also gab sie vor, die Blutergüsse nicht zu bemerken, folgte Dylans Mutter in das Wohnzimmer, zog ihre Jacke aus und legte sie über die Sofalehne. Das Haus war ordentlich aufgeräumt und geschmackvoll eingerichtet. Seit ihrem letzten Besuch hatten die Mathesons eine neue Wohnzimmergarnitur angeschafft. Alles blitzte vor Sauberkeit, und dennoch wirkte der Raum so unpersönlich wie ein Zimmer im Schaufenster eines Möbelgeschäftes. Der Fernseher schwieg, nur das gleichmäßige Ticken der Standuhr im Nebenraum - gleichfalls eine Neuanschaffung - zerriss die Stille.
Cody nahm auf dem Sofa Platz, beugte sich vor und kam direkt zur Sache. »Mrs. Matheson, bevor Dylan nach Schottland gefahren ist, hat er einmal einen Mann namens Black Dylan erwähnt.«
Mrs. Matheson nickte. »Das ist eine Geschichte, die Kenneth' Vater gerne erzählt hat; sie handelt von einem schottischen Straßenräuber, der vor mehreren Jahrhunderten sein Unwesen trieb. Black Dylan war kein direkter Vorfahre, glaube ich, sondern gehörte nur zum selben Zweig der Mathesons wie Kenneth. Wahrscheinlich ein Cousin. Möchtest du etwas trinken, Cody? Fruchtsaft? Oder lieber einen heißen Tee? Soll ich dir einen Tee machen?«
Cody nickte. Draußen war es kalt, ihre Finger waren ganz klamm, und etwas Heißes zu trinken würde ihr gut tun. Außerdem wusste sie, dass Mrs. Matheson das Gespräch leichter fallen würde, wenn sie etwas zu tun hatte. Sie folgte Dylans Mutter in die Küche. »Ein Straßenräuber? Wie hat Ihr Schwiegervater das denn herausgefunden? In den Geschichtsbüchern werden die Namen von Outlaws doch gar nicht erwähnt.« Es sei denn, sie waren auf Aufsehen erregende Weise hingerichtet worden. Sie hatte genug darüber gelesen, um Bescheid zu wissen, und konnte nur beten, dass man Dylan nicht gehängt oder gar enthauptet hatte.
»Diese Geschichte steht ja auch in keinem Buch.« Mrs. Matheson nahm zwei Becher aus dem Schrank und hängte in jeden einen Teebeutel. »Sie wurde von den Mathesons in Schottland mündlich überliefert. Wir haben sie von einem Offizier gehört, mit dem Kenneth' Vater sich angefreundet hat, als er während des Zweiten Weltkrieges in England stationiert war. Die beiden Männer fanden heraus, dass sie denselben Namen trugen, James Matheson, und nach weiteren Gesprächen stellten sie fest, dass sie auch beide von dem in den westlichen Highlands ansässigen Matheson-Zweig abstammten. Der Schotte kam sogar aus dieser Gegend und steckte voller Geschichten über den Matheson-Clan, und Dad Matheson hatte es die von Black Dylan besonders angetan. Er erzählte sie uns immer wieder, und als Dylan geboren wurde ...« Ihre Stimme brach, und Cody wartete geduldig, bis sie sich wieder gefasst hatte. Schließlich fuhr Mrs. Matheson fort: »Als Dylan geboren wurde, entschieden wir uns für diesen Namen, weil er uns so gut gefiel.« Ein zittriges Lächeln spielte um ihre Lippen, und sie fügte leise hinzu: »Wir haben den Namen allerdings nicht aus Verehrung für einen Wegelagerer ausgesucht, wir legten keinen Wert darauf, dass Dylan später einmal seinem Vorfahr nacheifern könnte.«
Cody spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, wusste sie doch, dass Dylan genau das getan hatte. »Er muss aber weit mehr gewesen sein als ein gewöhnlicher Bandit, sonst würden die Leute nicht noch Jahrhunderte später von ihm sprechen«, bemerkte sie vorsichtig.
Mrs. Matheson zuckte die Schultern. »Ich
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