Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
Blick schweifte durch den schwach erleuchteten Raum. An Wandhaken hingen verschiedene Kleidungsstücke, und direkt neben der Tür entdeckte sie auch das, was sie suchte. Sie legte sich den Mantel über den Arm und ging zu Dylan hinaus.
    Er erhob sich, als er sie sah; eine formelle Geste, die für ihn absolut untypisch war. »Hier«, sagte sie. »Du hast ausgesehen, als würdest du frieren, daher habe ich dir deinen Mantel gebracht.«
    Die Lippen inmitten des zottigen Bartes verzogen sich zu einem wehmütigen Lächeln. »Nicht nötig, danke.« Er hatte sich in so vieler Hinsicht verändert. Sogar seine Stimme klang anders als früher, irgendwie tiefer und männlicher. Er sprach auch langsamer und schien seine Worte sorgfältiger zu wählen.
    »Prima, kann ich ihn dann anziehen? Ich friere nämlich gottserbärmlich.« Er nickte und half ihr in das viel zu große Kleidungsstück. Cody zitterte vor Kälte. Wie er sich bei diesen Temperaturen wohl fühlen konnte, war ihr ein Rätsel. Dankbar kuschelte sie sich in die schwere, dunkle Wolle.
    Eine Weile standen sie beide da und musterten sich schweigend, dann sagte er bedächtig: »Tut mir Leid, dass die Begrüßung so schroff ausgefallen ist. Ich hätte wenigstens Hallo sagen müssen. Wie geht es dir?«
    Codys Kehle schien wie zugeschnürt. Tränen traten in ihre Augen, und sie breitete die Arme aus, um ihn an sich zu drücken.
    Doch er verhinderte die Umarmung, indem er ihre beiden Hände ergriff und festhielt. »Nein, lass das.« Als sie ihn daraufhin bestürzt ansah, erklärte er ihr: »Nein, so war das nicht gemeint. Weißt du, hier würden Berührungen jeglicher Art ganz anders gedeutet werden, als sie gemeint sind. Wenn jemand sieht, dass du mich umarmst, denkt er sofort...« Unbehaglich sah er sich zu dem Fenster im hinteren Teil des Hauses um. »Die Leute hier wären entsetzt, wenn ich gerade jetzt zu vertraut mit einer anderen Frau umginge, auch wenn sie dich für meine Cousine halten.« Er schüttelte den Kopf. »Sie würden denken, ich hielte Caits Andenken nicht in Ehren, und das lasse ich nicht zu. Diese Menschen haben mich als einen der ihren akzeptiert, und wenn ich unter ihnen leben will, muss ich ihre Sitten und Gebräuche respektieren und mich ihnen anpassen.«
    »Es tut mir Leid, Dylan, ich ...«
    Dylan winkte ab und nahm wieder auf der Mauer Platz. »Das muss dir nicht Leid tun. Du konntest das ja nicht wissen.« Cody zwängte sich links von ihm auf die Mauer. Er fuhr leise fort: »Als ich hier ankam, war ich heilfroh, dass mir Sinann immer zuflüsterte, wie ich mich zu verhalten hatte.« Er zuckte zusammen, blickte nach rechts, schnaubte abfällig und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Cody zu. »Wie ich schon sagte, bevor ich so rüde unterbrochen wurde«, wieder blickte er stirnrunzelnd nach rechts, »das hier ist eine ganz andere Welt.«
    Der Vollmond warf einen silbernen Schimmer über das Tal, der Hafer raschelte leise im Wind. Die Schafe schliefen eng aneinander geschmiegt in ihrem Pferch. Cody musterte ihren Sandkastenfreund mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. »Du hast dich verändert, Dylan.«
    »Das hoffe ich doch sehr. Vor vier Jahren hatte ich ja keine Ahnung, wie es in der Welt wirklich zugeht. Ich habe nie eine ernsthafte Verletzung davongetragen, war nie hungrig, nie verliebt, hatte nie eine richtige Familie. Nichts wusste ich, rein gar nichts.«
    »Und jetzt weißt du alles?«
    Stirnrunzelnd blickte er sie an. »Jetzt weiß ich, dass es längst nicht auf jede Frage eine Antwort gibt. Früher war ich vom Gegenteil überzeugt.«
    »Und du meinst, du hättest die Antworten, nach denen du suchst, im 20. Jahrhundert nicht gefunden?«
    Er hob die Schultern. »Vielleicht schon.« Er machte Anstalten, noch etwas zu sagen, besann sich dann aber und schwieg.
    »Vermisst du denn dein altes Leben überhaupt nicht?«
    »O doch, vieles schon. Ich vermisse meine Mutter, und wenn ich ganz ehrlich sein soll, dich auch.« Cody musste lächeln. Dylan fuhr fort: »Ich vermisse Toilettenpapier, fließendes Wasser im Haus, Barbecuesauce, Telefone, schmerzlose Zahnbehandlungen und den Anblick von Mädchen in Tangabikinis am Strand.« Er hielt inne und überlegte einen Moment, »Und weißt du, was ich noch vermisse?«
    »Was denn?«
    »Rockmusik zu hören, während im Fernsehen Zeichentrickfilme ohne Ton laufen.«
    Cody lachte. »Himmel, das habe ich schon seit Jahren nicht mehr gemacht.«
    Dylan warf den Kopf in den Nacken und holte tief Luft. Ein breites

Weitere Kostenlose Bücher