Die Verbannung
du bekommst eine böse Infektion, wenn dich ein Floh beißt. Du kannst dir sogar eine Grippe holen, wenn du einen Türknauf berührst, den vorher jemand angefasst hat, der erkältet ist.«
»Und so etwas glaubst du?«
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Wo ich herkomme, rettet das Wissen um diese Zusammenhänge täglich vielen Menschen das Leben.«
Sinann überlegte einen Moment, dann nickte sie. »Vielleicht hast du ja Recht. Aber du wolltest schließlich unbedingt zurückgeschickt werden, nicht wahr?«
Dylan schloss das Fenster und erhob sich, um sich auszukleiden. Er ließ seinen Gürtel zu Boden fallen, streifte den Kilt ab und Legte ihn als zusätzliche Decke auf das Bett. »Tink, du solltest wissen, dass ich meine Lebenserwartung um zehn oder zwanzig Jahre verringert habe, indem ich hierher zurückgekommen bin - oder sogar um dreißig, falls ich während des nächsten Aufstandes falle. Und der findet ...«, er zögerte einen Moment, rechnete nach und fuhr dann fort, »in drei oder vier Jahren statt.« Er nahm die Gamaschen aus Schafsfell ab, zog Brigid aus der Scheide und schob sie unter sein Kopfkissen. »Außerdem werde ich, wenn ich den Kampf überlebe, nach und nach meine Zähne verlieren. Vermutlich habe ich keinen einzigen mehr im Mund, wenn ich fünfzig bin, und das auch erst so spät, weil ich dreißig Jahre lang eine Fluorzahncreme benutzt habe und weiß, wie man seine Zähne pflegt. Ehe ich hierher kam, habe ich noch nie hungern müssen, und hier knurrt mir dauernd der Magen, und dabei gibt es eine ganze Menge Menschen, die schlimmer dran sind als ich. In diesem Jahrhundert ist das bloße Überleben schon schwierig, dabei auch noch gesund zu bleiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit.«
Sinann schürzte schmollend die Lippen. »Och, ich fange schon an zu bedauern, dass ich dich zurückgeschickt habe. Du tust mir ja so Leid!«
Dylan warf ihr einen bösen Blick zu und fuhr fort, sich auszukleiden. Die Papiertüte, die er kurz vor seiner Rückkehr unter eine Gamasche geschoben hatte, war verknittert und durchweicht, der Inhalt jedoch unversehrt. Er verstaute das Glas mit den Aspirintabletten in seinem sporran. Den Plastikverschlusswürde er durch einen Korken ersetzen. Aber die Zellophantüte mit den Zimttoffees stellte ein Problem dar. Er drehte sie in den Händen und dachte angestrengt nach. Die Toffees waren einzeln verpackt, und die Plastikhüllen würden Aufsehen erregen, wenn jemand außer ihm sie sah, aber er war schon so oft bis auf die Haut nass geworden, dass er nicht wagte, sie unverpackt in die Tasche zu stecken. Also leerte er den Inhalt der Tasche auf sein grünes Leinentaschentuch und verknotete es sorgfältig. Ein Toffee schob er in den Mund und kaute genüsslich, während er sein Hemd über den Kopf zog und es auf das Bett fallen ließ.
Nachdem er den letzten Rest des klebrigen Bonbons hinuntergeschluckt hatte, fuhr er fort: »Zu Hause hatte ich keine Narbe, die länger war als das hier«, er deutete auf eine feine weiße Linie an seinem linken Zeigefinger, wo er sich mit siebzehn mit einer Rasierklinge geschnitten hatte, als er ein Paket öffnen wollte, dann zeigte er anklagend auf seine zahlreichen anderen Verletzungen. »Und schau mich jetzt an. Ich habe eine Messernarbe am Arm, ein Teil von meinem Ohrläppchen fehlt, ich habe Peitschenmale auf dem ganzen Rücken und ein Loch von einer Musketenkugel im Bein, und außerdem fehlen mir die Milz und eine Niere, weil man mir einen Kavalleriesäbel in den Leib gerammt hat.« Mit einem Finger fuhr er über die rote, immer noch schmerzende Operationsnarbe. »Zweimal bin ich bewusstlos geschlagen worden, und es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht an einer Gehirnerschütterung zu Grunde gegangen bin.« Er schnallte seinen sgian dubh von seinem linken Arm ab und legte ihn auf den Tisch.
»Aber das ist noch nicht alles, Tinkerbell. Ich habe zum letzten Mal warm geduscht, meine letzten Pommes frites gegessen, meine letzte CD gehört, bin zum letzten Mal Auto gefahren, habe mein letztes Telefongespräch geführt und...«, seine Stimme brach, und er musste einmal tief durchatmen, bevor er weitersprechen konnte. »Und ich habe mich von meiner Mutter verabschiedet. Für immer. Damit muss ich erst einmal fertig werden.«
»Aber du bist zurückgekehrt, um dein Volk vor den Engländern zu retten.« In der Stimme der Fee schwangen so viel Vertrauen und Stolz mit, dass Dylan wünschte, sie nicht all ihrer Hoffnungen berauben zu müssen. Aber
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