Die Verbannung
wussten genau, dass sie es mit Dylans Schwert zu tun bekämen, sollten sie doch einmal lange Finger machen. Keiner von ihnen würde es wagen, sich mit Rob Roys bestem Schwertkämpfer anzulegen, noch nicht einmal Seumas Glas.
Beruhigt machte sich Dylan auf den Weg zu Ramsays Büro.
Er betrat den Raum, ohne vorher anzuklopfen, wie er es sich in den letzten Tagen zur Gewohnheit gemacht hatte, und nahm seinen Stammplatz ein, den hölzernen Lehnstuhl, der in der Nähe der Tür stand. Ramsay las einige Briefe. Tiefe Furchen traten bei dieser Lektüre auf seine Stirn. Er nahm Dylans Gegenwart nicht zur Kenntnis, also holte dieser seine Schnitzerei aus der Tasche und zückte seinen sgian dubh. Das Holzscheit begann allmählich die Form eines Düsenjets anzunehmen, was ihn, wie er wohl wusste, in einige Verlegenheit bringen würde, wenn ihn später einmal jemand fragen sollte, was dieses merkwürdige Gebilde darstellen sollte. Aber es bereitete ihm Vergnügen, ein Bindeglied zu seiner eigenen Vergangenheit und zugleich zur Zukunft der Welt zu schaffen. Die Pfeilflügel und das kuppeiförmige Cockpit brachten ihm Erinnerungen an längst vergangene Zeiten zurück, als er im Sandkasten hinter dem Haus seiner Eltern mit seiner besten Freundin Cody Krieg gespielt hatte.
Er hatte schon lange nicht mehr an seine Kindheit zurückgedacht, die von der Angst vor den trunkenen Wutausbrüchen seines Vaters beherrscht gewesen war. Kaum erwachsen, hatte er sein Elternhaus verlassen und diesen Entschluss nie bereut. Er war nur noch gelegentlich zurückgekommen, um seine Mutter zu besuchen.
Dylan lehnte sich in dem Stuhl zurück und dachte über seine Mutter nach, während er die raue Kante einer Tragfläche glättete. Er hatte sie nur äußerst ungern allein mit diesem gewalttätigen Hurensohn zurückgelassen. Wenn Cait nicht gewesen wäre ...
Als Ramsay das Wort an ihn richtete, schrak er heftig zusammen. Es beunruhigte ihn, dass er so tief in Gedanken versunken gewesen war, dass er seine Umwelt völlig vergessen hatte. Ramsay hatte eine Bemerkung über das Schachspiel gemacht.
Dylan blickte zu dem Schachbrett mit den Figuren aus Walrosszähnen hinüber, das auf einem Ständer an der Wand stand. Der Kaufmann spielte mit einem Freund aus London Briefschach, und Dylan pflegte das Brett jedes Mal interessiert zu betrachten, wenn er das Büro betrat. Innerhalb der letzten Woche hatte sich das Bild nicht verändert, denn der Postverkehr mit London verlief nur schleppend, doch jetzt hatte Ramsays Gegner seiner Dame durch einen geschickten Zug neuen Spielraum verschafft. »Was haltet Ihr von der Situation?«, fragte Ramsay ihn.
Dylan überlegte einen Moment, dann fuhr er schulterzuckend fort, an seinem Flugzeug herumzuschnitzen. »Sowohl Euer Springer als auch Euer König könnten in Gefahr geraten, wenn Ihr Euren Turm nicht bewegt.«
Ramsay verzog keine Miene. »Und wohin, wenn ich fragen darf?«
»Vor allen Dingen nicht zu weit. Ihr habt bereits rochiert, und wenn Ihr mit dem Turm zu weit zieht, macht Ihr Sinn und Zweck dieses Zuges wieder zunichte.« Er deutete auf das Brett. »Versucht es doch einmal so.«
»Aha. Und wann kann ich meinen Gegner matt setzen?«
Dylan grinste. »Keine Ahnung, ob Euch das überhaupt gelingen wird. Aber ich fürchte, Ihr werdet Eure beiden Springer einbüßen, ehe die Partie zu Ende ist.«
»Was man nicht ändern kann, kann man nicht ändern. Spielt Ihr oft Schach?«
Dylan unterdrückte ein Lächeln. »Nicht so oft, wie ich es gern täte.« In seiner Heimat hatte es während seiner Collegezeit niemanden mehr gegeben, der es gewagt hätte, gegen ihn zu spielen. Aber in Glen Ciorram hatten ihm einige seiner entfernten Vettern verheerende Niederlagen beigebracht, und da er lieber gewann als verlor, hatte er weniger Partien gespielt als nötig, um in Übung zu bleiben.
Ramsay zog seinen Königsturm vor, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder der Korrespondenz auf seinem Schreibtisch zuwandte.
»Meine Männer haben heute Morgen ihren Dienst im Lagerhaus angetreten, Sir«, machte sich Dylan wieder bemerkbar.
Ramsay grunzte. »Ich werde Felix sagen, er soll sie auf die Lohnliste setzen. Ihr werdet ihnen jede Woche ihren Lohn auszahlen. Holt ihn zusammen mit Eurem Geld hier ab.«
»Aye, Sir.« Dylan beschäftigte sich wieder mit seiner Schnitzerei.
»Dylan ...«
Dylan hob den Kopf, doch Ramsay hatte sich wieder in seine Papiere vertieft, und er pflegte ihn ohnehin nicht mit dem Vornamen anzusprechen. Ein
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